Milchfieber
auf die Bank. „Setz dich!“
„Wir müssen die Polizei rufen“, erwiderte Horst Winkler entsetzt und blieb stehen, „das war ja dann fast Notwehr oder so“.
Lissy schüttelte energisch den Kopf: „Wir klaren Kopf bewahren. Wenn Polizei rufen, alles vorbei“, sagte sie und weinte laut weiter „Dann ist unser Glück vorbei. Niemand wird glauben, außerdem war er doch Illegaler.“
Sie nestelte umständlich ein Taschentuch aus der Packung und schnäuzte sich die Nase: „Das will ich nicht. Ich dich nicht verlieren will.“
Horst schüttelte den Kopf, unschlüssig, ob er ihr glauben sollte, nach allem was er gesehen hatte. Lissy sah ihn mit tränenvollen Augen an und forderte ihn noch einmal auf, sich neben sie zu setzen. Als er ihren Körper neben seinem spürte, hatte sie gewonnen. Die Wärme ihres Körpers ließ alle Zweifel an ihrer Ehrlichkeit, die ihm gekommen waren, schmelzen. Er wollte sie auch nicht verlieren, auf keinen Fall. Er wollte nie wieder alleine sein und die Nächte alleine verbringen. Er liebte Lissy und ein Beweis seiner Liebe sollte sein, dass er ihr verzieh und alles unternehmen wollte, sie zu behalten. Dazu gehörte auch, fest daran zu glauben, dass sie ihn auch liebte.
„Was machen wir mit ihm?“, fragte er und drückte sie fest an sich.
„Ich so glücklich“, schluchzte sie, „dass du mich verstehst.“ Sie umarmte Horst und küsste ihn heftig. „Ich weiß nicht, wie man toten Mann verschwinden lässt“.
„Obwohl“, meinte sie nach einer Pause, in der beide ratlos geschwiegen hatten, „du hast doch Raum, wo du manchmal Fleisch lagerst?“
Der Mann seiner Schwester war Maurer und mit ihm zusammen hatte Winkler zwei Räume in der Scheune ausgebaut, einen kleinen gekachelten Raum, in dem er auch Wurst machen konnte und ein kleines Kühlhaus. Er hatte eine Ausbildung zum Hausschlachter gemacht, durfte wie alle aber nur auf den Höfen, wo auch geschlachtet wurde, das Fleisch verarbeiten, aber so genau nahm Horst Winkler die Vorschriften nicht. Vor allem die Schweine der Bauern schlachtete er lieber auf seinem Hof, meist wurden die Tiere am Tag vorher angeliefert und eine Woche später kamen die Bäuerinnen mit Schüsseln und Körben und holten die frischen Koteletts, die Leberwürste, Sülze und die Würstchen ab. Seinen Bruder ließ Horst nicht an den Wurstkessel, Klaus’ Aufgabe war genau definiert: Abfälle beseitigen und aufräumen.
„Dort bringen wir hin“, bestimmte Lissy und Horst nickte. Er konnte immer noch keinen klaren Gedanken fassen, in seinem Kopf schwirrten die Bilder und Eindrücke, vermengten sich und ließen ihn nicht mehr los.
„Weiß Klaus irgendetwas?“, fragte er, als ihm plötzlich sein Bruder einfiel.
„Nein“, Lissy schüttelte den Kopf, „er gar nicht da. Ich habe Alex“, bei der Nennung seines Namens begann sie wieder laut zu weinen, „ich habe Tür zugeschlossen.“ Sie putzte sich die Nase, stand auf und sah durch die Tür.
„Klaus ist nicht da. Weißt du, wo er sein könnte?“
Horst sah auf die Uhr: „Um diese Zeit ist er meistens bei den Kaninchen.“
„Du schickst ihn ins Dorf oder weit weg. Dann wir Alex in Kühlhaus bringen.“
Der Tote war schwerer als Horst gedacht hatte, er ließ sich kaum aus dem Bett wuchten. Horst fragte sich, wie Lissy es gelungen war, sich unter diesem Fleischberg aus dem Bett zu retten, er vermutete, dass sie erstickt wäre, wenn sie es nicht geschafft hätte. Der Leichnam war so blutig und die Wunden so aufgerissen, dass es Horst schlecht wurde, als er Alex an den Beinen aus dem Bett zog. Immer wieder rutschte ihm ein Fuß aus der Hand, als er ihn aus dem Zimmer zog. Der Kopf blieb auf dem Teppich hängen und schleifte ihn durch den Flur und die Diele mit. Lissy hatte kaum Körperkräfte, half Horst nicht beim Transport, drehte den Schlüssel im Schloss der Schlafzimmertür zweimal herum, öffnete die anderen Türen und hatte immer das Fenster im Blick, für den Fall, dass Klaus auftauchen sollte. Vor dem Kühlhaus keuchte Horst vor Erschöpfung.
„Aufhängen?“, fragte er.
„Wie? Aufhängen? Das doch kein Schwein“, empörte sich Lissy, „wir legen ihn auf Fußboden.“
Horst war sich sicher, dass Axel ein Schwein war, aber er verkniff sich diese Bemerkung, zog den Toten ins Kühlhaus, stieg über ihn und machte die Tür zu. Kraftlos lehnte er mit dem Rücken an der Tür. Da fiel ihm plötzlich Ines ein.
„Was machen wir mit Ines?“, überlegte er laut. „Wenn sie kommt und die
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