Milchgeld: Kluftingers erster Fall
»Scheint so, als ob man als Milchfahrer sozusagen Grußpflicht hat.«
»Was meinst du eigentlich, was das mit dem Pulver zu bedeuten hat?«, fragte Strobl nachdem beide einige Minuten geschwiegen hatten.
»Offensichtlich wollten sie sich da noch etwas Milchgeld nebenher verdienen«, erwiderte der Kommissar und war so stolz auf sein Wortspiel, dass er sich vornahm, es bei Gelegenheit noch einmal anzubringen.
»Das ist schon klar. Fragt sich nur wie.«
»Hast du nicht mit den Leuten vom Labor gesprochen?«
»Doch, schon. Aber mit Milchverarbeitung kannte sich auch keiner so richtig gut aus. Allerdings scheint es so zu sein, wie du schon aus den Artikeln rausgelesen hast: Lutzenberg und Wachter haben wohl ein Verfahren entwickelt, das es möglich gemacht hat, den Reifeprozess bei der Milchveredelung erheblich zu beschleunigen. Und Zeit ist eben Geld. Milchgeld«, sagte Strobl und freute sich ebenfalls über die Zweitverwertung des Wortspiels seines Chefs.
»Und dieses Verfahren war schädlich.«
»So kann man das nicht sagen. Es hätte was werden können, dann wären die beiden die Könige gewesen. Aber sie wollten eben zu schnell den Ruhm.«
»Hauptsächlich Wachter, wie es aussieht.«
»Wie auch immer: Jedenfalls haben sie’s vorschnell auf den Markt gebracht. Wie das Milchpulver da reinpasst, ist mir allerdings noch nicht klar.«
»Wie die zwei Morde da reinpassen, interessiert mich viel mehr«, erwiderte der Kommissar.
Dann wurde es wieder still im Führerhaus. Sie waren kurz vor Krugzeil. Kluftinger war dieselbe Strecke gefahren wie der Milchwagen gestern. Er wollte kein Risiko eingehen. Es sollte aussehen wie immer.
Kurz vor dem Ortseingang gab er Strobl ein Zeichen, die Kollegen per Funk zu informieren, dass sie gleich da wären. Fast zeitgleich kamen sie mit den Polizeiwagen vor der Molkerei an. Die Streifenwagen bezogen vor den Einfahrten Stellung, Kluftinger und Strobl fuhren hinein.
Der Kommissar steuerte rückwärts den gleichen Platz an, an dem auch gestern der Milchwagen gestanden hatte. Gleich beim ersten Einpark-Versuch hätte er beinahe eine Hebebühne gerammt, die auf dem Parkplatz links von ihm stand. Im Augenwinkel sah er, dass Strobl zusammenzuckte. Der Kommissar kurbelte heftig am Lenkrad. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn. Er hatte seit Jahren keinen so großen Lastwagen mehr gefahren. Nicht mehr, seit er seinen Dienst bei der Freiwilligen Feuerwehr quittiert hatte. Auch der zweite Anlauf schlug fehl. Diesmal hätte fast einer der Stützpfeiler der Ankunftshalle dran glauben müssen. Hoffentlich fällt das nicht auf. Erst beim dritten Mal zirkelte er das Gefährt auf den vorgesehenen Platz. Allerdings stand er zu mindestens einem Drittel auf dem Nachbarparkplatz, als er den Motor abstellte. Im Augenwinkel beobachtete er Strobl. Keiner sagte etwas.
Minutenlang passierte nichts.
»Und jetzt?«, fragte Strobl.
»Wir warten. Irgendwas wird sich schon ergeben.«
Wieder vergingen einige Minuten, dann tat sich tatsächlich etwas. Die Tür zu den Chefbüros ging auf und ein Mann kam die Treppe herunter. Kluftinger sah ihn im Rückspiegel und erkannte ihn sofort: es war Bartsch. Er kam die Treppe herunter und lief in die Halle. Seine Ledersohlen hallten durch den riesigen Raum. Nur noch ein paar Schritte, dann würde er bei ihnen sein. Kluftinger nickte Strobl zu und der nickte zurück, auch wenn er nicht genau wusste, wieso. Kurz bevor Bartsch die Fahrertür erreichte, begann er zu schimpfen: »Ihr wisst doch genau, dass ich gesagt habe, ihr solltet heute früher …« Das letzte Wort blieb Bartsch im Hals stecken. Er hatte die Fahrertür von außen aufgerissen und blickte nun direkt in Kluftingers Gesicht.
»Entschuldigung. Wir haben uns doch extra beeilt«, erwiderte der Kommissar.
Bartsch war wie erstarrt. Er schien ein paar Sekunden zu brauchen um zu verstehen, was passiert war. Als die Erkenntnis durchgesickert war, drehte er sich um und begann zu laufen. Strobl sprach etwas in sein Funkgerät, worauf sich die Polizeiwagen vor der Molkerei in Bewegung setzten. Bartsch blieb, als er die Polizeiwagen sah, so schnell stehen, dass er beinahe hingefallen wäre. Er blickte sich verzweifelt um, suchte nach einem Ausweg. Von hinten kamen Kluftinger und Strobl auf ihn zu, von der anderen Seite strömten die Polizeibeamten aus ihren Streifenwagen. Als Bartsch erkannte, dass es keinen Fluchtweg gab, fiel er regelrecht in sich zusammen. Apathisch ließ er sich Handschellen anlegen und
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