Milchgeld: Kluftingers erster Fall
schicken kann.«
»Ja Mutter. Also dann. Pfiati.«
»Ja, ist ja schon recht. Du mit deinem also dann. Denk an die Bananen. Die machen fit. Machs gut Bub, bis morgen. Pfiati, gut’ Nacht.«
»Nacht Mutter.«
Kluftinger griff zur Fernbedienung und stellte den Fernseher lauter. Er zappte. Er hätte dieses Wort nie verwendet, aber er liebte die Tätigkeit. Seine Frau weniger. Irgendwo blieb er hängen.
Als Kluftinger aufwachte, hätte er nicht sagen können, wann er genau eingeschlafen war. Im Fernsehen lief irgend eine Börsensendung, er schaltete aus, stand auf und bemerkte kaum, wie die leere Röstzwiebeldose, die auf seinem Bauch gelegt hatte auf den Boden fiel.
Schlaftrunken ging er ins Bad, putzte sich die Zähne, quälte sich in seinen Schlafanzug und löschte das Licht. 0.07 Uhr schon. Er drehte sich um und fühlte die Vorboten eines ausgewachsenen Sodbrennens. Nie mehr eine ganze Dose dänische Röstzwiebeln auf einmal!
***
Es war für Kluftinger seltsam gewesen, an diesem zweiten Morgen ohne seine Frau. Dennoch hatte alles wieder gut geklappt: Er war ohne Probleme aus dem Bett gekommen, auch wenn ihn heute schon wieder der grausame Pfeifton seines Radioweckers aus dem Schlaf gerissen hatte und nicht Erikas sanfte Stimme. Das Frühstück hatte er ausgelassen. Auch wenn er sich dadurch etwas Zeit gespart hatte, nahm er sich doch vor, in Zukunft so spät wirklich nicht mehr so fett zu essen.
»Guten Morgen, Frau Henske«, trällerte er im Präsidium seiner Sekretärin im Gang entgegen, die gerade beim Kopierer stand.
Er fühlte sich gut und das nicht nur, weil er sich ein bisschen vorkam wie ein Schuljunge, dessen Eltern verreist sind und der sich nun allein zu Hause als kleiner Erwachsener bewähren muss. Er hatte sich für den Tag einiges vorgenommen und diese Tatsache fühlte sich besser an als die Ungewissheit, ob sie in dem Fall irgendwie weiter kommen würden. Davon hatte er in den letzten Tagen genug gehabt.
»Ist das Exposé schon da?«, rief er durch die offen stehende Tür seiner Sekretärin zu. Vor allem auf Zeitungsausschnitte aus den fraglichen Jahren hatte er es abgesehen.
Sandra Henske erschien mit einem stattlichen Stapel Papier unter dem Arm in seinem Büro. »Hab’ es gerade für die Akten noch einmal kopiert«, sagte sie und freute sich über die gute Stimmung ihres Chefs. Sie bezeichnete sich selbst als sehr mitfühlenden Menschen und neigte deswegen dazu, sich den Launen vor allem Kluftingers anzupassen. »Da hat sich ein Kollege gestern noch ziemlich reingehängt um das alles zu bekommen«, bemerkte Sandy noch.
»Danke. Wenn’s geht in der nächsten Zeit bitte keine Anrufe«, bat der Kommissar höflich.
Er klappte den Pappeinband des Stapels um und begann zu lesen. Das erste Blatt zeigte die Regionalseite der Allgäuer Zeitung vom 1.6.1975. Kluftinger schmunzelte ein wenig, als er das Papier vor sich liegen hatte. Auch die Zeitungen sahen damals anders aus, dachte er. Rechts oben stand ein Artikel mit der Überschrift: »Bakterien sind ihre Leidenschaft«. Die Unterzeile lautete: »Hoffnungsvolle Talente der Lebensmittelbranche kommen aus dem Allgäu«. Der Artikel erzählte davon, dass Wachter und Lutzenberg für eine Forschungsarbeit im Rahmen ihres Studiums einen von der Industrie gesponserten Wissenschaftspreis bekommen hatten. »Ich hätte nie gedacht, dass wir das schaffen«, wurde ein bescheidener Robert Lutzenberg zitiert. Phillip Wachter klang da schon etwas selbstbewusster:
»Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass wir an etwas Wichtigem dran sind.« Ein Mann der Milchindustrie wurde mit den Worten zitiert: »Es haben schon einige in diese Richtung geforscht, aber die beiden Allgäuer sind auf dem vielversprechendsten Weg. Wahrscheinlich ist es die Nähe zur Milchwirtschaft, die sie beflügelt hat.«
Natürlich, dachte sich Kluftinger und verdrehte die Augen, sind wir im Allgäu nicht alle irgendwie verkappte Milchbauern? Dennoch schien die Aussage des Industrie-Menschen zumindest für Lutzenberg zu stimmen, dessen Eltern laut Zeitungsartikel in einer Sennerei gearbeitet hatten und den der Umgang mit Milchprodukten und ihre vielseitige Verwendbarkeit schon immer fasziniert habe. »Käse, Butter, Sahne, Joghurt: All das war irgendwann einmal ›nur‹ Milch«, hatte er damals gesagt.
Kluftinger machte sich auf einem Schmierzettel ein paar Notizen und kennzeichnete die Stellen, an denen es um Fachbegriffe ging, mit einem Fragezeichen. Er würde sich
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