Milchgeld: Kluftingers erster Fall
mit Strobl auf das Haus zuging. Zu präsent war noch die Erinnerung an seinen »Saunagang« beim letzten Besuch. Als er auf den Klingelknopf drückte, sah er sich den Himmel an. Es war nicht ganz so heiß wie beim letzten Mal, es braute sich irgendetwas zusammen. Dunkle Wolken türmten sich am Horizont, die Sonne war nur noch als milchige Scheibe zu sehen. Noch wehte allerdings kein Lüftchen und es war drückend und schwül, obwohl es früher Vormittag war. Kluftinger seufzte, als er seinen Finger auf den Klingelknopf presste. Es dauerte wieder einige Zeit, bis sich etwas tat, dann öffnete die alte Frau, die die gleiche Kleidung trug wie schon vor zwei Tagen. Sie bückte die beiden Männer zuerst etwas verwirrt an, dann aber hellte sich ihr Blick auf und sie erkannte den Kommissar.
»Ja, mei, der Herr Polizist ist wieder da. Komm er doch rein.«
Strobl blickte ihn fragend an und Kluftinger deutete mit einem Schulterzucken an, dass er sich an der ungewöhnlichen Sprechweise der Frau nicht stören solle.
»Ich hab’ grad einen Tee gemacht, da können die Herren gleich einen mittrinken«, freute sich die Alte scheinbar über den unangemeldeten Besuch.
»Nein, nein, kein Tee«, fiel Kluftinger ihr blitzartig ins Wort und fügte, damit es nicht unhöflich klang, hinzu: »Wir sind etwas in Eile, Frau Lutzenberg.«
Sie war inzwischen in der Küche verschwunden und die beiden Beamten folgten ihr. »Haben Sie irgendetwas von ihrem Neffen gehört?«, wollte Strobl wissen.
Als Kluftinger ihren fragenden Blick sah, stellte er schnell seinen Kollegen vor: »Das ist Eugen Strobl, er arbeitet auch bei uns in Kempten bei der Polizei. Also, hat sich Ihr Neffe in der letzten Zeit gemeldet?«
»Welcher Neffe denn? Mei, so viele sagen zu mir Tante Lina …«, sie kniff die Augenbrauen zusammen und sah aus, als ob sie angestrengt überlegte.
»Wir meinen den, wegen dem wir das letzte Mal schon hier waren. Den Andreas«, versuchte der Kommissar den Prozess zu beschleunigen.
»Den Andreas, ja …«, Kluftinger und Strobl sahen sich triumphierend an, »… ja, der war schon lang nicht mehr da«, vollendete Lina Lutzenberg den Satz. »Jetzt wo er’s sagt: Das ist eigentlich schon ungewöhnlich.«
»Sagen Sie, hat der Andreas hier irgendwelche Sachen, die Sie uns zeigen könnten?«, fragte Strobl.
»Das weiß ich nicht, was der hier für Sachen hat. Ich geh’ ja in sein Zimmer nicht hinein«, antwortete die Alte.
»Er hat hier noch immer ein Zimmer?«, fragte Kluftinger.
»Ja freilich. Sein Kinderzimmer halt. Das ist ja immer sein Zimmer gewesen, oder was hat er gedacht, wer da jetzt drin wohnt?«
Kluftinger ging gar nicht auf die Frage ein. »Können wir das Zimmer einmal sehen?«
»Sicher, sicher.« Lina winkte die beiden zur Treppe, hielt sich am Geländer fest und stieg ganz langsam, Stufe für Stufe, hinauf. Die beiden Beamten folgten ihr ungeduldig. Als sie endlich den Absatz erreichten, deutete die Frau auf das Ende des Ganges: »Da. Das ist sein Zimmer. Aber dass mir die Herren Polizisten auch keine Unordnung machen«, mahnte sie Kluftinger mit erhobenem Zeigefinger.
Das Zimmer war spärlich eingerichtet: In der Mitte stand ein hohes Bett aus einem einfachen Metallgestell, rechts von der Tür nahm eine große, alte Kommode fast die gesamte Länge der Wand ein, dem Bett gegenüber befand sich ein großer Schrank. Der Boden war mit dickem Teppich ausgelegt, hinter dem Bett gingen ein Fenster und eine Tür auf den Balkon.
Kluftinger zog die Vorhänge zurück und sah hinaus: Der Himmel hatte sich in ein Grau-Violett verdunkelt. An den Bäumen vor dem Haus raschelten die Blätter, als die ersten Windböen durch ihre Wipfel pfiffen. Es würde wohl gleich ein mächtiges Gewitter geben.
»Schau du mal im Schrank, ich nehm’ mir die Kommode vor«, sagte Kluftinger und zog eine der oberen Schubladen auf. Sie klemmte ein bisschen und er musste gleichzeitig an beiden Messinggriffen rütteln, um sie herauszubekommen. In der Schublade lagen fein säuberlich nebeneinander dicke, offenbar selbst gestrickte Socken. Es mussten so um die zwanzig Paar sein, schätzte Kluftinger, dem diese große Zahl reichlich ungewöhnlich vorkam.
Er zog die nächste Schublade auf: gemusterte Hemden und Krawatten. In einer weiteren lag weiße Feinripp-Unterwäsche. Beim Anblick dieser neben jeglichem Modetrend liegenden Kleidungsstücke, konnte sich der Kommissar gut vorstellen, warum sie Lutzenberg hier eingelagert hatte. Schließlich zog er
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