Milchgeld: Kluftingers erster Fall
wusste selbst sein Vater nicht.
Andreas Lutzenberg ging davon aus, dass er ein paar Berichte einfach gefälscht hatte. Langzeitstudien waren nicht notwendig gewesen, denn sein Vater hatte seine Bedenken nie öffentlich geäußert. Aber Wachter hatte Bescheid gewusst. Und trotzdem die Freigabe für den Joghurt erteilt. Ohne seinen Vater, der zu dieser Zeit gerade in Urlaub gewesen war, auch nur zu informieren. Als der zurückkam, war es zu spät. Für die Skrupellosigkeit seines »Freundes« musste auch er dran glauben. Das Schlimmste für seinen Vater war aber nicht der berufliche Abstieg. Es war die Enttäuschung, von seinem besten Freund so hintergangen worden zu sein. Davon hatte er sich nie mehr erholt.
Andreas Lutzenberg war jetzt bei seinem Wagen angekommen. Es hatte längst aufgehört zu regnen, die Luft roch noch nach feuchter Erde. Er atmete tief ein. Er sah das Bild seines Vaters im Krankenhaus vor sich. Wie er ihn aus müden Augen anblickte. Selbst in diesem Moment hatte er noch an seinen ehemaligen Weggefährten gedacht: »Lass gut sein«, hatte er seinem Sohn mit heiserer Stimme zugeflüstert. Andreas Lutzenberg hatte verstanden, was sein Vater damit hatte sagen wollte. Es waren seine letzten Worte gewesen. Er musste ihm kein Versprechen mehr geben, das er nicht hätte halten können.
Bevor er ins Auto stieg, hielt er kurz inne. Dann nickte er sich selbst zu. Er hatte das Richtige getan.
***
»Herrgottnochmal, wie finden wir denn jetzt diesen Lutzenberg?« Kluftinger hatte die Frage mehr sich selbst gestellt, blickte dennoch in die Gesichter seiner Kollegen, die sich in seinem Büro versammelt hatten.
»Die Fahndung hat noch nichts gebracht«, sagte Maier und fügte hinzu: »Weder hier noch international.«
Kluftinger stand auf und lief hinter seinem Schreibtisch auf und ab. »Habt ihr’s über die Telefongesellschaft probiert?«
»Ja, wir sind dran«, nickte Hefele, der mit seinen Kollegen in der Sitzgruppe Platz genommen hatte. »Aber die machen uns wenig Hoffnung. In jedem Fall wird es eine Weile dauern, bis sie uns Bescheid sagen.«
»Hilft nix. Solange müssen wir eben warten. Dann hat das hier erst mal Priorität«, sagte Kluftinger und klopfte dabei mit der flachen Hand auf die Schachtel, die sie in Lutzenbergs Zimmer gefunden hatten und die nun auf seinem Schreibtisch stand.
»Ich würde vorschlagen, dass du Hefele … Kruzitürken!«
Kluftinger brach seinen Satz ab, weil die Sirene eines Polizeiwagens, der offenbar gerade zu einem dringenden Einsatz aufbrach, im Hof erklang und ein Gespräch im Büro unmöglich machte. Der Kommissar ging zum Fenster und wollte es schließen, stoppte jedoch mitten in der Bewegung.
»Ich Depp!«, rief er, doch die anderen verstanden ihn wegen des Lärms nicht. Schnell schlug er das Fenster zu und lief aufgeregt zu seinen Kollegen.
»Jetzt weiß ich wieder, was mir die ganze Zeit nicht eingefallen ist.«
Sie blickten ihn erstaunt an.
»Wegen des Gesprächs, ich hab dir doch gesagt, dass ich was übersehen habe«, wandte er sich an Strobl. Der zog nur fragend die Augenbrauen nach oben.
»Die Sirene!«, sagte Kluftinger und deutete mit dem Finger auf das Fenster, das er eben geschlossen hatte. »Die Sirene!«, wiederholte er. »Wir brauchen sofort alle Feuerwehr-Einsätze der letzten eineinhalb Stunden im gesamten Umkreis. Und wenn das nicht reicht, in ganz Deutschland.«
Die drei Kollegen in der Sitzgruppe blickten sich fragend an.
Als Kluftinger bemerkte, dass sie nicht verstanden, was er meinte, fügte er hinzu: »Während ich mit Lutzenberg gesprochen habe, wurden wir von einer Sirene unterbrochen. Einer Feuerwehr-Sirene. Vielleicht kommen wir ihm so auf die Spur.«
***
In der Hütte war es kühl, fast kalt. Lutzenberg fröstelte ein wenig. Es konnte aber auch an der Nervenanspannung liegen, der er seit fast drei Wochen ausgesetzt war. Er zog sich sein Jackett aus, das am Kragen bereits ganz speckig war. Kein Wunder, immerhin hatte er seit ein paar Tagen seine Kleidung nicht mehr gewechselt. Er öffnete den alten, knorrigen Bauernschrank und ließ seinen Blick über die Kleidungsstücke wandern, die sich darin befanden. Dicke Winterpullover bildeten die Hauptausstattung, auch eine Felljacke hing an einem Bügel. Kein Wunder, hatten sie die Hütte früher doch meistens im Winter genutzt. Er fragte sich, ob Wachter wohl auch einmal hier gewesen war. Er suchte weiter und entschied sich schließlich für das einzige Kleidungsstück,
Weitere Kostenlose Bücher