Milchgeld: Kluftingers erster Fall
Kluftinger, als sich der Wald auf eine Lichtung öffnete. Kurz vor dem nächsten Waldstück stand eine kleine Holzhütte. Die Wände waren stark verwittert und die Hütte sah dadurch irgendwie aus, als wäre sie genauso gewachsen wie die Bäume, die um sie herum standen. Für einen kurzen Moment vergaß Kluftinger den Schuh-Zwischenfall. So eine Hütte war immer sein Traum gewesen. Wer weiß, eines Tages würde er vielleicht …
»Da steht ein Auto«, weckte Strobl ihn aus seinen Tagträumen.
Tatsächlich. Ein roter Kombi, das musste Lutzenbergs Opel sein. Kluftinger humpelte zwischen die Bäume. »Los, komm, nicht, dass er uns noch sieht«, flüsterte er und winkte Strobl zu sich. »Wir gehen den Waldrand entlang und erst kurz vor der Hütte raus«, sagte der Kommissar und malte mit seinem Finger den Weg in die Luft, den sie seiner Meinung nach einschlagen sollten. Strobl nickte. Mit einem fragenden Blick legte er die Hand an sein Pistolenhalfter. Kluftinger nickte ebenfalls. Er selbst ließ seine Waffe stecken.
Geduckt liefen sie immer an den Bäumen entlang in Richtung Hütte. Kluftinger musste die Zähne zusammenbeißen: Immer wieder bohrte sich ein spitzer Ast oder ein Stein durch den Strumpf hindurch in seine Fußsohle. Ihm war nie aufgefallen, wie steinig so ein Waldboden doch sein konnte. Die Schmerzen erreichten aber nur gedämpft sein Bewusstsein, das von der Konzentration auf die nächsten Minuten beherrscht wurde.
»Jetzt«, gab der Kommissar das Kommando als sie an der Stelle angekommen waren, die der Eingangstür der Hütte am nächsten war. Dann liefen sie los. Es waren nur etwa 30 Meter, die sie auf freiem Feld zu überbrücken hatten, aber Kluftinger kam es vor wie ein Marathon. Er rannte so schnell er konnte, hüpfte dabei immer wieder, um nicht hinzufallen, wenn sein linkes Bein den nassen Grasboden berührte. Kluftinger schnaufte heftig, als er im »Hopserlauf« kurz nach Strobl ebenfalls die Tür erreichte. Er war sich nicht sicher, ob seine Atemlosigkeit von seiner Aufregung oder den schätzungsweise fünfzehn Kilo Übergewicht herrührte, die er um die Hüften mit sich herumschleppte.
Strobl und Kluftinger sahen sich einige Sekunden an. Keiner wagte zu klopfen. Schließlich gab sich Kluftinger einen Ruck. Mit der Faust hämmerte er gegen die schwere Holztüre:
»Aufmachen, Polizei!«
Noch bevor er die Worte ausgesprochen hatte, ärgerte er sich bereits darüber, dass er das Wort »Polizei« benutzt hatte. Er hätte besser nur so geklopft, jetzt hatte er Lutzenberg womöglich unnötig in Aufruhr versetzt. Doch in der Hütte regte sich nichts.
»Herr Lutzenberg, wir wissen, dass Sie da drin sind. Wir haben Ihr Auto draußen gesehen. Machen Sie auf!«
Nichts.
Mit einem Nicken bedeutete Kluftinger seinem Kollegen, die Tür zu öffnen. Der atmete noch einmal tief durch und drückte dann ganz langsam die Klinke herunter. Dann stieß er die Tür auf und streckte die Waffe ins Haus. »Polizei! Herr Lutzenberg, halten Sie die Hände über den Kopf, wir kommen jetzt rein«, rief Strobl und seine Stimme zitterte dabei ein wenig. Im Haus rührte sich noch immer nichts. Nun wurde es auch Kluftinger mulmig und er legte seine Hand auf seine Waffe im Gürtelholster.
Kluftinger und Strobl kniffen die Augen zusammen. In der Hütte war es düster und die dicken Wolken am Himmel sorgten außerdem dafür, dass nur wenig Tageslicht in den Wohnraum fiel. Als sich ihre Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, sahen die beiden Beamten, dass das Zimmer leer war.
»Verdammt, das gibt’s doch nicht«, fluchte Strobl, nachdem er sich vergewissert hatte, dass sich auch in den Nischen und unter dem Bett niemand versteckt hielt. Er setzte sich an den Tisch und steckte seine Pistole wieder ein.
»Meinst du, er hat uns gesehen?«
»Glaub ich nicht. Dann hätte er ja durchs Fenster raus gemusst. Die sind aber zu«, sagte Kluftinger. Strobl überzeugte sich mit einem Blick und nickte.
»Und jetzt?«, fragte er.
Kluftinger kaute auf seiner Unterlippe herum. Er dachte nach. »Wir müssen auf jeden Fall Verstärkung holen. Du gehst zum Wagen und rufst die Kollegen. Ich bleibe solange hier und warte. Falls er zurückkommt.«
»Und wenn er kommt?«, fragte Strobl.
Kluftinger hätte diese Frage am liebsten verdrängt, aber sein Kollege hatte Recht. Was sollte er tun, wenn Lutzenberg zurückkam und auf ihn treffen würde?
»Dann lass ich mir irgendwas einfallen. Beeil’ dich einfach, damit ich nicht solange
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