Milchgeld: Kluftingers erster Fall
Beamten.
»Na ja, was soll man schon sagen, die Spuren hat’s praktisch weggespült«, rechtfertigte sich einer von ihnen.
Kluftinger nickte. Sogar die Natur schien gegen ihn zu arbeiten.
***
Als er endlich im Auto auf dem Weg nach Kempten saß, fühlte er sich kaum besser, auch wenn er nun wenigstens im Trockenen war. Er ließ sich noch kurz bei Lina Lutzenberg vorbeifahren, um ihr die Nachricht vom Tod ihres Neffen zu überbringen. Wenn es um solche Dinge ging, erledigte er sie lieber selbst. Nicht weil er erpicht darauf war, den Menschen schlimme Nachrichten zu überbringen. Aber sein Vertrauen in das Einfühlungsvermögen seiner Kollegen war einigermaßen gering. In diesem Fall hätten aber sicher auch die keinen Schaden angerichtet, denn Lina Lutzenberg nahm die Nachricht völlig teilnahmslos zur Kenntnis. Das verstörte den Kommissar regelrecht. Aber vielleicht hatte sie auch gar nicht mitbekommen, was er ihr gesagt hatte. Und vielleicht war es so besser für sie.
Der Weg von der Hauptwache zu seinem Büro glich noch einmal einem Spießrutenlauf. Seine Kollegen sparten nicht mit »klugen« Bemerkungen über sein Aussehen. Von »Na, frisch geduscht?« bis »Wie lange ist deine Frau jetzt schon in Urlaub?« war alles dabei. Nur seine Sekretärin sagte nichts. Sein Aufzug schien bei ihr einen regelrechten Schockzustand auszulösen.
Endlich in seinem Büro angekommen, trocknete sich Kluftinger notdürftig die Haare und zog sich dann die einzige Ersatzkleidung an, die er in seinem Schrank aufbewahrte – seinen guten Anzug. Er hatte ihn dort hängen, seit einmal der bayerische Innenminister auf einer Wahlkampfreise in der Direktion Station gemacht hatte. Kluftinger hatte nichts von dem Termin gewusst, weil er die zwei Tage davor frei gehabt hatte. Am Tag darauf fand er sich mit grünem Hemd und grauer Strickjacke in der Zeitung auf einem Bild hinter dem Minister wieder. Seine Frau hätte beinahe geweint, als sie das Foto sah. Und sie wäre mit Sicherheit in den Hungerstreik getreten, hätte er sich daraufhin keinen Not-Anzug ins Büro gehängt.
Er hatte sich gerade das Sakko übergestreift, da kam Dietmar Lodenbacher herein, der Leiter der Polizeiinspektion. Er stutzte kurz, als er Kluftinger im Anzug sah, denn das war ein seltener Anblick, aber sein Blick verriet schließlich Zufriedenheit über die geschmackvolle Kleidung des Kommissars. Kluftinger würde sich hüten, ihm den wahren Grund für seinen Aufzug zu nennen.
»Des is a sauberer Schlamassl«, begann Lodenbacher und legte die Stirn in tiefe Sorgenfalten. Er nahm seine Halbbrille ab und fuchtelte damit herum. Dass man nun aber schnell etwas tun müsse, dass man der Presse auf keinen Fall einen möglichen Zusammenhang andeuten dürfe, dass jetzt etwas vorwärts gehen müsse, waren die Hauptbestandteile seines etwa dreiminütigen Monologs. Selten hatte Kluftinger so viele Synonyme für Lodenbachers Eingangsforderung »Wir brauchen Ergebnisse« gehört.
»Die Kollegen sind schon im Konferenzraum«, unterbrach Sandy die Rede des Inspektionsleiters – und deutete Kluftinger mit einem Lächeln an, dass sie sich wohl bewusst war, ihn gerade vor weiteren Tiraden des Chefs gerettet zu haben.
Zu dritt schritten sie in den Raum und schlagartig wurde es still. Kluftinger sagte während der kurzen Lagebesprechung nicht viel. Er überließ Lodenbacher das Reden. Nur einmal mischte er sich ein. Als Lodenbacher wieder nebulös andeutete, dass man nun aber die Ärmel hochkrempeln müsse, konkretisierte er dessen Forderung. Ohne aufzusehen sagte er: »Ich möchte morgen alles über Lutzenberg wissen. Wo hat er sich die letzten Tage aufgehalten? Da könnte vielleicht sein Wagen Aufschluss geben. Liegen Tankquittungen drin? Hat er irgendwo einen Strafzettel bekommen? Hat er seine Kreditkarte benutzt? Wen hat er angerufen? Ich will wissen, was er gegessen hat und wann er aufs Klo gegangen ist, soweit sich das eben rausfinden lässt. Und vor allem will ich jedes Detail der Kiste, die wir bei ihm gefunden haben, bis morgen früh um acht katalogisiert und auf Spuren untersucht auf dem Schreibtisch haben.«
Lodenbacher, der sich zu seiner Ansprache hingestellt hatte, blickte Kluftinger, der am Rand des Tisches in einem Stuhl saß, über den Rand seiner goldenen Brille hinweg irritiert an.
»San Sie fertig?«, fragte er schließlich und klang dabei wie ein kleiner Angestellter, der seinen Chef um Redeerlaubnis bittet. Kluftinger nahm das sehr wohl wahr und auch die
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