Milchmond (German Edition)
Obwohl das Bürgerliche Gesetzbuch zum Thema Verlobung durchaus noch gültige Paragrafen enthielt, Gesetzestexte, die das Rechtsverhältnis von Personen untereinander bestimmten, die einander die Ehe versprochen hatten. Das war ihm schon während des Jurastudiums sauer aufgestoßen. In seiner bisherigen Berufszeit hatte er sich auch noch nie mit einem dieser Gesetzesparagrafen befassen müssen.
Nun saß er geparkt auf der schwarzen Ledercouch einer Designer-Boutique. Die rassige Verkäuferin im roten Wickelkleid zwang ihm bei jeder Neuvorstellung eines von Sylvia anprobierten Outfits eine Entscheidung ab. Hopp oder Top? Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Sylvia bestand aber vehement darauf, dass er ihr half, ein Outfit für die standesamtliche Trauung zu finden. Kirche sei hingegen nicht nötig, da sie ja kaum Familie hätten, und außerdem seien sie als nüchterne Menschen nicht dafür da, die Kitsch-Klischees anderer zu erfüllen, war ihr knappes Statement zum Thema Kirche.
Das war ihm recht; so konnten sie das gesparte Geld besser für einen Urlaub zu zweit ausgeben. Sylvia war in Hochform. Sie führte ihm ein Modell nach dem anderen vor und hatte bereits etliche Hosenanzüge, Cocktail-Kleider, lange Kleider und verwegene Hüte anprobiert, konnte sich jedoch nicht entscheiden. Immer und immer wieder wurde er von den zwei Augenpaaren der beiden Damen um Stellungnahme gebeten. Das würde heute kein Ende nehmen.
Einen Laden hatten sie schon hinter sich und für den Fall, dass sie hier auch nichts Passendes finden sollten, hatte Sylvia noch eine dritte Adresse auf ihrer Liste stehen. Er wusste, dass er sich nicht der Situation angemessen verhielt und sich auch nicht angemessen fühlte. In den amerikanischen Kitschfilmen nahm der Bräutigam bei solchen Anlässen stets eine wesentlich charmantere Rolle ein. »Schatzi, ich geh mal kurz gegenüber eine Zeitschrift holen, okay? Bin gleich zurück!«
»Ja, aber mach schnell. Ich brauch dich hier!«
Er beeilte sich hinaus zu kommen. Im Kaufhaus schräg gegenüber sichtete er die Zeitschriftenauslagen, entschied sich dann für ein Bootsmagazin und ging zurück. Zwischenzeitlich hatte eine füllige Matrone mit ihrer Tochter die Boutique für sich vereinnahmt und nahm die Aufmerksamkeit der Verkäuferlady in Anspruch. Diese deutete auf seinen fragenden Blick hin zur linken Umkleidekabine. Tobias verstand und marschierte zur angegebenen Ecke des Ladenlokals. Dort angekommen, stutzte er, denn er hörte aus der Kabine leises, beschwörerisch klingendes Gemurmel. Sylvia klang ganz anders als sonst, wenn sie telefonierte. Er hörte sie langsam und eindringlich flüstern: »Und ruf mich nie wieder außerhalb meiner Arbeitszeit an, hast du das verstanden? Wir dürfen uns nicht erwischen lassen! Ende!«
Intuitiv trat Tobias bei diesen Schlussworten rasch zwei, drei Schritte zurück. Jetzt flog der Kabinenvorhang auf - Sylvia kam mit hektischer Gesichtsröte und mehreren Textilstücken über den Arm, heraus. Als sie Tobias sah, glättete sich augenblicklich ihre angespannte Miene und der strahlende, altvertraute Gesichtsausdruck mit den spöttisch-verführerischen Augen gewann die Oberhand zurück. »Oh, hallo Schatzi. So schnell zurück? Ich dachte schon, du hättest die Situation zur Flucht genutzt.« Sie kicherte dabei nervös. »Ich finde einfach nicht das Richtige! Komm, wir schauen noch einmal weiter!«
Sie ergriff ihn stürmisch am Arm, warf der Verkäuferin ein schnippisches Ich überleg noch mal!, zu, und schon standen sie wieder auf der Straße. »War doch unmöglich, diese Verkäufer-Tusse, mich einfach ohne Betreuung in der Kabine zu lassen,. Ich kann doch nicht halbnackt rauskommen und mir andere Stücke holen. Pah! Kauf ich eben woanders, wenn ihr diese olle Madame mit ihrem Töchterchen wichtiger ist als ich!«
»Reg dich doch nicht auf! Sie war allein im Geschäft und muss natürlich auch andere Kunden bedienen. Ist doch logisch!«
»Typisch Mann! Das verstehst du eben nicht! Wir Frauen wollen beim Einkaufen beraten und hofiert werden. Ich wollte sowieso noch ins Lady-Chic. Das ist nicht weit von hier, wir können das kurze Stück zu Fuß gehen.«
Sie lenkte ihn entschlossen am Ellbogen und bugsierte ihn so drei Querstraßen weiter zur genannten Adresse. Erneut fand er sich auf einer Couch wieder, aber diesmal wurde ihm dabei nicht langweilig, denn seine anwaltlichen Hirnwindungen fingen an, sich warm zu
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