Milchmond (German Edition)
kann, wieder zueinander zu finden.«
»Ja, da hast du sicher recht. Ich möchte mich bei dir bedanken, dass du mir zugehört hast, ohne mich zu verurteilen. Das ist nicht selbstverständlich. Danke, Johannes!« Sie brachten die beschwerlichen Stufen, von der Elbe herauf zur Straße, hinter sich und reichten sich, beide schwer atmend, zum Abschied herzlich die Hände, tauschten ihre Visitenkarten und versprachen einander, in Verbindung zu bleiben. Dann entschwand Johannes durch die Gartenpforte des elterlichen Hauses, und Tobias trat die Fahrt zum Präsidium an.
Das Gespräch mit dem Kommissar war kurz. Tobias gab seine Personalien an und machte aufgrund der gegebenen Umstände von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Nachdem der Kommissar seinen Berufsstand erfragt hatte, quittierte er die Antwort mit einer hochgezogenen Augenbraue, sagte aber nichts weiter dazu. Da er keine weiteren Angaben zur Sache erhielt, ließ er sich das Protokoll von Tobias unterschreiben und entließ ihn, sichtlich enttäuscht.
Vor dem Präsidium, auf dem Weg zu seinem Auto, entschloss sich Tobias, den Stier jetzt bei den Hörnern zu packen und in die Uniklinik zu fahren.
Man ließ ihn zu ihr, und er erschrak bei ihrem Anblick. Sylvias Gesicht zeigte bläuliche Verfärbungen von den Prellungen, die sie sich bei dem Sturz zugezogen haben musste. Ein Tropf versorgte sie mit einer Infusions-Lösung. Der Kommissar hatte ihm die Umstände ihres Auffindens nur knapp geschildert: Verärgerte Nachbarn waren auf die lärmende Musik und das heftige Poltern aus Sylvias Wohnung aufmerksam geworden und hatten, nachdem niemand auf ihr Klingeln hin öffnete, die Polizei gerufen. Nach gegenwärtigem Ermittlungsstand sei Fremdeinwirkung wohl auszuschließen, man habe auch keine weiteren Drogen in der Wohnung gefunden, nur die Blutprobe sei eindeutig. Sie hatte Amphetamine oder in der Szene auch Ecstasy genannt, zu sich genommen und das in Verbindung mit viel Alkohol. Dass sie Drogen nahm, war Tobias bisher nie aufgefallen und er vermutete deshalb, dass sie damit wohl erst nach ihrer Trennung angefangen hatte. Tragisch, aber ihr Problem!
Als sie ihn eintreten hörte, die Augen aufschlug und ihn erkannte, versuchte sie zu lächeln, stellte aber den schmerzhaften Versuch sogleich ein und fuhr sich mit den Händen leidend an die Schläfen. »Mir brummt so der Schädel, Tobias. Mir ist schlecht!«
»Komm mir jetzt nicht mit dieser Tour, Sylvia Sommer! Geschieht dir ganz recht! Glaub nicht, dass du mit dieser Masche bei mir noch Mitleid erregen kannst. Ich kenne jetzt dein ganzes gemeines, hinterhältiges Spiel, das du mit uns allen abgezogen hast. Mit Julia, mit Jörg, mit mir. Ich könnte kotzen! Wie tief bist du nur gesunken? Ich verachte dich! Hier hast du den vermaledeiten Ring zurück!« Er knallte ihn mit solcher Wucht auf den Nachttisch, dass sie zusammenzuckte.
»Und nenne mich nie wieder deinen Verlobten, hörst du? Ich habe mit deinem Komplizen, Jörg, gestern gesprochen und ihm die Wahl gelassen, die Stadt auf Dauer zu verlassen oder ihn vor Gericht zu bringen und dasselbe sage ich jetzt auch zu dir, Sylvia Sommer. Du verlässt Hamburg, für immer! Anderenfalls bringe ich auch dich vor Gericht! Ich weiß nicht, ob das deiner Karriere, an der du doch so hängst, nützlich sein würde. Das Letzte, was ich dir hier noch sagen will, und dann will ich dich nie wieder in meinem oder Julias Leben auftauchen sehen: Du bist ein intrigantes Miststück - der größte Fehler meines Lebens! Aber damit ist nun ein für alle Mal Schluss! Ich meine es ernst!« Eindringlich fixierte Tobias für Sekunden ihre aufgerissenen Augen, bevor er drohend schloss: »Komm uns nie wieder, hörst du, nie wieder in die Quere, oder du lernst mich von einer ganz anderen Seite kennen!«
Damit drehte er sich um, vorbei an der verdutzten Krankenschwester, die gerade das Abendessen brachte und stürmte hinaus. Nur weg hier! Beim Hinauseilen durch die Flure, fiel sein Blick zufällig auf eines der Namensschildchen an den Türen. Verblüfft blieb er stehen, ging einen Schritt zurück und las noch einmal: Dr. Hildegard Stein-Gorecki, Oberärztin, Orthopädie
Ah ja, Orthopädie! Die Informationen von Harry erwiesen sich wieder einmal als richtig. Die Ärztin gab es also wirklich. Jörg hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, einen neuen Namen zu erfinden. Damit wäre der ganze Schwindel spätestens bei Nachfrage bei dieser Ärztin
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