Milchmond (German Edition)
könne. So nahm die Tragödie ihren Lauf. Julia bat mich um Geduld; sie müsse sich während Jörgs letzten Lebenswochen um ihn kümmern, könne ihn schließlich nicht in ein Pflegeheim geben. Ich verstand das ja auch. Es war eine Bewährungsprobe für uns, die ich vermasselt habe.«
»Du hast noch nicht erzählt, wie es nun zu dieser Verlobung kam«, erinnerte ihn Johannes.
»Ja, diese unsägliche Verlobung! Ich sage dir, Johannes, nie habe ich mich bescheuerter benommen! Ich habe auf ganzer Linie versagt! Es ist unfassbar! Also kommen wir zur Verlobung: Julia fuhr auf Anraten der angeblichen Ärztin, mit Jörg Hals über Kopf für zwei Wochen nach Föhr, um ihn abzulenken. Sylvia meldete sich zeitgleich bei mir unter einem Vorwand, nämlich dass sie Hamburg aus beruflichen Gründen verlassen wolle und bat mich um ein letztes Mittagstreffen in unserem Stammlokal, um sich von mir zu verabschieden. Dort zückte sie zwei Musicalkarten für den Abend und lud mich ein, um eine alte Schuld abzutragen!, wie sie es nannte. Ich wollte kein Spielverderber sein und willigte ein. Bis dahin verlief noch alles ganz harmlos. An jenem Abend hat sie mich dann verführt, alte Erinnerungen aufgefrischt – und ich Hornochse war schwach und ging ihr auf den Leim! Wenige Tage später traf von Julia ein Brief aus Föhr ein, in dem sie mich darum bat, dass ich sie in nächster Zeit in Ruhe lassen solle. Wenn ich sie wirklich liebe, solle ich das respektieren und diese Zeit als Bewährungsprobe für unsere Liebe ansehen. Sie könne nicht zwischen Jörg und mir hin und her pendeln; das ginge über ihre Kräfte. Ich ließ sie also wunschgemäß in Ruhe, sah aber unser Glück zerrinnen, glaubte nicht mehr an eine gemeinsame Zukunft für uns. Das muss es wohl gewesen sein! Zu dem Zeitpunkt konnte ich ja nicht ahnen, dass Sylvia Jörg an der langen Leine führte und zu seinen Ungeheuerlichkeiten anstiftete. Sie verschwieg ihm jedoch, dass ich, sein Nebenbuhler, ihr Ex war und sie sich in den Kopf gesetzt hatte, mich zurückgewinnen zu wollen – warum auch immer? Deshalb gaukelte sie mir vor, dass sie einen vollständigen Gesinnungswandel hinter sich hätte. Nun könne sie sich plötzlich doch vorstellen, mit mir Kinder zu haben und ein Leben mit Familie zu führen. Ich Volltrottel glaubte ihr und verriet meine Liebe zu Julia. Aber nicht genug damit; nachdem wir zwei, drei Wochen wieder zusammengekommen waren, lud sie mich hochfein ins Scherrer ein. Wir ließen uns dort nach allen Regeln der Kunst verwöhnen. So ein Gourmet-Verwöhn-Kuschel-Abend, weißt du? Dann kam die Überraschung: Sylvia ließ von der Küche in die Austernvorspeise zwei Eheringe hinein drapieren mit einem großen JA! darunter, als sei mein abgelehnter Heiratsantrag vom Januar noch gültig und unbeantwortet. Sie hat mich damit völlig überfahren, und ich hatte in dem Moment nicht die Kraft, nein zu sagen. Ich weiß, es klingt kindisch, einfach nicht nachvollziehbar. Du glaubst nicht, wie mies ich mich dabei gefühlt habe. Am nächsten Tag schleppte sie mich durch Boutiquen, um Kleidung fürs Standesamt zu kaufen. Ich kam mir vor, wie eine Marionette und war nicht fähig, mich aus dieser Starre zu lösen. Beim Einkaufen wurde ich zufällig Zeuge ihres heimlichen Telefonats mit Jörg. Ich hörte, von ihr unbemerkt, den Abschluss des Gesprächs: Wir müssen vorsichtig sein und dürfen uns nicht erwischen lassen, und ruf mich nie wieder außerhalb meiner Arbeitszeit an! Hörst du?
Zunächst dachte ich, sie hätte berufliche Probleme oder so etwas in der Art. Daraufhin schaltete ich meinen Hausdetektiv ein, der mir ziemlich schnell die Augen öffnete. Ich weiß, es gibt für dieses Versagen keine Entschuldigung, Johannes. Ich habe Julia auf ganzer Linie enttäuscht. Und doch, ich weiß, dass es für uns eine Lösung geben muss und geben wird! Mit Jörg habe ich gestern abgerechnet und ihm die Wahl gelassen, ihn entweder vor Gericht zu bringen und seine Reputation zu zerstören oder er verlässt, so schnell wie möglich, die Stadt und schlägt seine Zelte woanders auf. Mit Sylvia werde ich genauso verfahren.
Wirst du mir helfen, Johannes? Ich muss Julia zurück- gewinnen - wir gehören zusammen!
Sag mir: Ist Vergebung denkbar?«
Sie waren lange marschiert, hatten keinen Blick gehabt für die Elbe und die großen Pötte, die an ihnen vorbei zogen. Zu sehr waren sie in ihr Gespräch vertieft. Nun erreichten sie den Endpunkt des Uferweges und
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