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Milchmond (German Edition)

Milchmond (German Edition)

Titel: Milchmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herfried Loose
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Gesicht war seit dem Konzert von einem sonderbaren Leuchten durchdrungen, auch ihr Vater war sichtlich stolz und gerührt. Johannes zollte ihr seine Anerkennung mit den Worten: »Nicht schlecht, Schwesterlein, gar nicht mal so schlecht!« Das musste genügen. Sie kannte ihren Bruder gut genug, um zu wissen, dass das seine Art war ihr zu zeigen, wie stolz er auf sie war.
   Johannes neigte nicht zum Überschwang. Er war ein stiller und nachdenklicher junger Mann, von dem man meinen konnte, dass er es bisher im Leben besonders schwer gehabt haben musste. Das war natürlich keinesfalls so. Im Gegenteil: Die beiden Geschwister wuchsen in einer liebevollen und kultivierten Umgebung auf – mit den Privilegien junger Menschen, die das Glück haben, in einer intakten und gut situierten Familie aufzuwachsen.
   Ihre Eltern führten eine harmonische Ehe und selten gab es ein lautes Wort. Ihre Mutter war Pianistin, die große Konzerte gegeben hatte und ab und an noch welche gab. Sie hatte sich ganz dem Schönen und der Musik verschrieben und war eine sehr leise, auf ihre Art aber fröhliche und sanftmütige Frau ohne Star-Allüren.
   Sie wohnten in Blankenese. Ihre Mutter verstand es, aus dem alten Haus mit dem schönen Rosengarten einen Ort der Liebe und Geborgenheit zu machen. Ihr guter Geschmack beschränkte sich nicht nur auf die Musik, sondern sie wusste auch die Räume mit großer Stil-Sicherheit elegant einzurichten und das richtige Maß an sozialer Einbettung in ihrem Umfeld zu finden. Ihre Kochkünste waren so legendär wie ihr Klavierspiel. Es gab häufig Tafelrunden in ihrem Elternhaus. An dem großen Esstisch im Speisezimmer fanden sechzehn Personen Platz und es blieb selten ein Stuhl unbesetzt.
   Ihr Vater dagegen, war der analytische und sachliche Akademiker. Er war Jurist und Liebhaber edler Weine. Vor zehn Jahren wurde er als Richter an das Hanseatische Oberlandesgericht des Stadtstaates Hamburg berufen. Obwohl er auf seine Art ganz das Gegenteil seiner Frau war, so verfügte er doch über eine gehörige Portion Humor und Weisheit. Das zusammen ergab wohl die richtige Mixtur für ihre gute Ehe, die sie in gegenseitigem Respekt miteinander führten.
   Mit ihrem Bruder verstand sich ihr Vater seit Johannes Entschluss, Theologie zu studieren, nicht mehr ganz so gut, und Johannes ging den Diskussionen  mit seinem Vater möglichst aus dem Weg, indem er sich zu Hause rar machte. Er hatte das Abitur gerade mit einem Notenschnitt von 1,4 absolviert und war damit Jahrgangsbester an seiner Schule geworden.
   Ihre Mutter trug dagegen Johannes Entschluss mit Fassung. »Warum nicht?«, hatte sie gesagt, »wenn der Junge das so möchte. Er wird sich schon etwas dabei denken.«
   Johannes hatte nie einen Zugang zur Musik gefunden und daher auch kein Instrument erlernt - sehr zum Leidwesen seiner Mutter. Julia hatte bei ihr schon Klavierunterricht bekommen, seit sie denken konnte. Sie liebte das Instrument und dadurch, dass ihre Mutter Pianistin war und wie selbstverständlich täglich am Flügel übte, war es Julia ganz normal vorgekommen, dieses auch zu tun. Der Unterricht bei ihrer Mutter endete erst, nachdem der Musikzweig am Gymnasium eingeführt wurde. Das war in der siebten Klasse geschehen.
   Von da ab übernahm Frau Hartwig ihre weitere Ausbildung. Mutter war von Frau Hartwigs Fähigkeiten sehr angetan und wusste Julia bei ihr in guten Händen. »Es ist ohnehin empfehlenswert, während der Ausbildung mehrere Lehrer zu haben. Das kann niemals schaden«, hatte sie gesagt. Die Klavierlehrerin war von Julias Fähigkeiten entzückt. Julia wurde ihre Lieblings-Schülerin. Zwar wurde der Unterricht in der Schule normalerweise an Keyboards abgehalten, aber es gab auch den großen Bechstein-Flügel in der Aula, an dem sie üben durfte. Ihre Mutter hatte es nicht gern gesehen, dass Julia auch am Keyboard spielte. Sie sorgte sich, dass darunter ihre Fähigkeiten am Piano leiden würden.
   Julia hatte hingegen wenig Probleme mit der Umstellung zwischen den beiden Instrumententypen. Für sie war das Spielen am Klavier Freizeitgestaltung, Freude und Ausgleich. Nie wäre es ihr in den Sinn gekommen, das Proben am Instrument als Arbeit und Mühe anzusehen. Auf eine diesbezügliche Frage ihrer Mutter, ob sie sich vorstellen könnte, eine Musikerkarriere zu machen, hatte sie nur gelacht und mit der Bemerkung abgetan, »Aber Mama, das ist doch nur mein Hobby. Nein, einen Beruf daraus zu machen, das

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