Milchmond (German Edition)
Doreen zeitig ins Bett und überließ das Abräumen den Männern. Nachdem das Geschirr weggeräumt war und die Küche wieder einigermaßen ordentlich aussah, setzten sich die beiden Männer noch auf eine Tasse Tee zusammen. Prof schenkte ein, schob Tobias den Kandis zu, dann rührten beide gedankenverloren in ihren Tassen.
»Bist du glücklich?« Tobias sah seinen Freund fragend an.
»Wie? Was meinst du damit?«
»Na ich meine, ob du mit deiner Entscheidung, eine Familie zu gründen, das gefunden hast, was du suchtest.«
»Ey, Mann, was ist denn das für 'ne Frage. Eine Familie gegründet, so kann sich auch nur ein Rechts-Verdreher wie du ausdrücken. Mensch, Doreen und ich waren damals schon seit drei Jahren zusammen und irgendwann hatte es eine Panne mit ihrer Pilleneinnahme gegeben und dann war sie eben schwanger. Das ist doch nichts Ungewöhnliches, eben der normale Lauf der Dinge. Für uns beide war immer klar, dass wir zusammenbleiben wollen. Das geht doch gar nicht ohne Kinder. Das wäre ja, wie...«, er suchte gestikulierend nach den passenden Worten, »… das wäre ja, wie Segeln ohne Wind!, um es für dich einigermaßen verständlich auszudrücken.«
»Das hast du schön gesagt, wie Segeln ohne Wind, ja...« Wie machte Prof das nur, dass er die Dinge mit wenigen Worten auf den Punkt bringen konnte? Naja, er war eben Mathematiker, in seinem Fach konnte man nicht umher- schwafeln, sondern musste präzise auf den Punkt kommen, das musste wohl der Grund sein.
»Werde nicht sentimental, Alter! Ich weiß nicht, ob das für dich auch das Richtige wäre. Ich stelle mir gerade vor, was du machen würdest, wenn einer deiner Blagen gerade mit seinem Bobbycar über deinen dunklen Parkettboden schrammen würde, oder noch besser, mit Knetgummi und Filzstift deinen Designertisch ruinieren würde.« Prof kicherte bei diesen Worten in sich hinein.
»Ich glaube, da schätzt du mich falsch ein. Klar, ich mag eine gewisse Aufgeräumtheit und vielleicht auch ein wenig Noblesse. Das geht natürlich nur solange wie man alleine lebt. Schon mit einer Partnerin zusammen, hätte man ja nur noch den halben Einfluss auf die Dinge um sich herum. Das ist mir alles durchaus klar. Aber, das muss ich dir sagen, Prof, ich bin immer unheimlich gern hier bei euch. Ihr seid so unkompliziert, so erdverbunden. Das gefällt mir wirklich!«
»Naja, bei uns ist natürlich auch nicht alles Gold. Aber wir sind zum Glück keine Perfektionisten. Wir können uns arrangieren und über unsere Macken auch mal lachen. Doreen und ich sind weiß Gott nicht immer einer Meinung. Das stört uns aber überhaupt nicht - im Gegenteil! Es ist oft sehr spannend zu beobachten, zu welchen Ergebnissen Verhaltensweisen führen, die von den eigenen Vorstellungen abweichen. Es ist ein ständiger Lernprozess. Am meisten kann man in dieser Hinsicht von den Kindern lernen. Wenn du dich mit ihnen beschäftigst, wird dir klar, wie unbedeutend viele andere Dinge sind, die der Menschheit doch immer als ach so bedeutungsvoll und wichtig erscheinen. Vielleicht solltest du dich mit Sylvia doch wieder versöhnen, man kann im Leben nicht alles haben. Ehe man sich's versieht hat man gar nichts.«
Kapitel 6
Julia spielte den Schlussakkord und verharrte noch einige Sekunden in ihrer Körperspannung, so wie es ihr Frau Hartwig, die Musiklehrerin, immer wieder predigte. Dann ließ sie langsam die Hände sinken und wandte ihr Gesicht dem Publikum zu. Während der Beifall aufbrandete stand sie auf, zählte innerlich langsam bis fünf und machte einen formellen Knicks, um dann mit schnellen, kurzen Schritten, seitlich hinter dem Bühnenvorhang der Aula zu verschwinden.
Dort wartete Frau Hartwig mit stolzem und anerkennenden Blick auf sie. »Eins-A, kann ich nur sagen. Ich bin stolz auf dich!« Eins, zwei, drei, vier, fünf... zählten sie beide mit stummen Lippenbewegungen, dann kam von Frau Hartwig der Stups in Richtung Bühnenmitte. Rasch lief Julia wieder an den Bühnenrand, während der Applaus an Stärke noch zunahm. Sie schaute aufmerksam in die Runde. Die auf sie gerichteten Scheinwerfer blendeten sie, ließen sie nur die Gesichter der ersten Reihe erkennen.
Mama, Papa und Johannes, ihr Bruder, saßen da und applaudierten ihr überschwänglich zu. Mama schickte ihr einen Luftkuss. Sie zählte wieder bis fünf, dann der Knicks, noch einmal in das Publikum gelächelt und zurück zu Frau Hartwig. Nun kamen vereinzelte
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