Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Milchmond (German Edition)

Milchmond (German Edition)

Titel: Milchmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herfried Loose
Vom Netzwerk:
eigenen Hände nehmen, auch wenn ihre Familie es möglicherweise nicht billigen würde.
   An diesem Punkt angelangt, unterbrach sie den Fluss ihrer Gedanken und stand auf. Nach dem Frühstück ging sie wieder an den Strand, um noch einige Stunden für sich und ihre Vorbereitung auf die kommenden Ereignisse zu haben.

Sie schaltete einmal kurz ihr Handy ein, um die eingegangenen SMS zu sichten:

Wo bist du, ich mache mir Sorgen? IL Jörg; 20:30 Uhr

Melde dich, was ist los? Jörg; 22:15 Uhr 

Julia, ruf an, egal wann, was ist???; Jörg; 23:50 Uhr

Wenn du dich bis heute Mittag nicht meldest, informiere ich die Polizei!; Jörg; 08:00 Uhr

Ich liebe dich! Hab Vertrauen und verlass dich auf mich! Ich warte auf deinen Anruf! Tobias; 09:30Uhr

ENDE DER NACHRICHTENLISTE

Bei der letzten Nachricht lächelte sie und registrierte, wie ihr gerade beginnendes Unbehagen sich verflüchtigte, wie Nebel in der Morgensonne. Sie schrieb an Jörg zurück:

Ich bin heute Abend um achtzehn Uhr zurück. Wir müssen reden! Julia

Senden? Sie drückte auf OK

Dann schrieb sie eine zweite:

Ich liebe dich auch! Ich vertraue dir!

Senden? Sie drückte erneut OK,
dann schaltete sie das Handy wieder aus.

Alea iacta sunt! Die Würfel sind gefallen!, dachte sie und nahm entschlossen ein Morgenbad in der spiegelglatten Ostsee, die dalag, wie flüssiges Blei. Beim Schwimmen fiel ihr auf, dass es sich um ihren ersten Urlaubstag handelte, und spontan kam ihr die Idee, weitere Tage in Travemünde zu verbringen, um Abstand zu gewinnen. Der Gedanke baute sie auf und sie nahm sich vor, nach dem fälligen Gespräch mit Jörg, einen Koffer zu packen und am späten Abend wieder hierher zu kommen, an den Ort, den sie als Wendemarke ihres Lebens betrachtete.
   Als sie gegen achtzehn Uhr vor ihrem Haus ankam, war ihr mulmig zumute, sie fühlte die Aufregung in ihrem Hals klopfen. Sie hatte sich auf dieses Gespräch den ganzen Tag lang vorbereitet und wusste genau, was sie sagen wollte.
   Jörg kam ihr im Hausflur entgegen. Sein Blick war ernst und strahlte Besorgnis aus. Als er sie in den Arm nehmen und küssen wollte, wich sie aus und ging an ihm vorbei ins Wohnzimmer. »Hallo Jörg. Komm mit und setz dich, wir müssen reden!«
   »Wo in Dreiteufelsnamen warst du? Und warum hast du nicht angerufen? Ich habe zigmal probiert, dich zu erreichen und bin fast gestorben aus Angst um dich!«
   »Es ging nicht, weißt du? Aber jetzt bin ich hier, um es dir zu erklären.« Jörg sah sie unverwandt an, dann zog ein ungläubiger Ausdruck über sein Gesicht, und er begann den Kopf zu schütteln, erst langsam, dann immer energischer. »Nein, Julia, sag es nicht! Denke erst in Ruhe über alles nach. Worte können soviel zerstören!« Abwehrend erhob er eine Hand und legte sich gleichzeitig auf der Couch zurück. Sein Gesicht nahm eine hochrote Färbung an, und die Adern an seinem Hals traten hervor, wie blaue, rhythmisch zuckende Schlangen.
   »Jörg, es hat keinen Sinn zu schweigen und es aufzuschieben. Mir ist in Travemünde das Verrückteste passiert, was man sich vorstellen kann!« Sie suchte nach einer passenden Formulierung - alle Worte, die ihr in den Sinn kamen, klangen so entsetzlich, waren nicht in der Lage zu beschreiben, was sie eigentlich ausdrücken wollte, und so sagte sie nur einen einzigen vernichtenden Satz:
        »Ich bin der Liebe meines Lebens begegnet!«
     
Sie lauschte dem Klang des soeben Gesagten nach und sah Jörgs Züge zu einer ungläubigen Grimasse entgleisen. Er senkte den Blick, stützte die Stirn in seine Hand, den Kopf fassungslos hin und her wiegend, blickte er auf seine Schuhspitzen.
   Nach Momenten des Schweigens fuhr sie fort: »Ich weiß selbst, dass das blöd klingt, aber es ist so! Ich habe vorher nicht gewusst, dass so etwas möglich ist, Jörg! Es tut mir so unendlich Leid um unsere Beziehung.«
   Er sah sie wieder an. »Du hast dich verliebt, in einer einzigen Nacht? Wir sind verheiratet! Wir wollten unser Leben miteinander verbringen! Wir sind ein Paar! Das kannst du doch nicht mit wenigen Worten kündigen, wie ein altes Sparbuch! Bedeute ich dir denn gar nichts?«
   Seine Worte brachten ihre bis jetzt bewahrte Fassung ins Wanken. Sie kam sich gemein vor, ihm diese Sache so direkt zu sagen, aber sollte sie lügen, ihm etwas vormachen? Sie konnte nichts dagegen tun, dass sie anfangen musste, zu weinen. »Jörg, verzeih mir, aber ich habe nicht gewusst, dass es ein so

Weitere Kostenlose Bücher