Milchmond (German Edition)
starkes Gefühl, wie ich es jetzt kennen gelernt habe, überhaupt gibt. Ich habe dich auch geliebt, das weißt du. Aber jetzt ist etwas so Unerklärliches mit mir passiert, dass ich so nicht weiter mit dir leben kann. Ich will dich nicht anlügen, und es wäre auch nicht richtig zu sagen, dass ich dich nicht mehr liebe, aber bis gestern wusste ich nicht, dass es eine noch größere, noch stärkere Liebe als unsere geben kann. Kannst du das verstehen?«
»Verstehen? Nein, zum Teufel! Was würdest du wohl sagen, wenn ich dir mit so etwas kommen würde? Das versteht doch niemand und ich glaube, du selbst auch nicht! Du liebst mich immer noch, aber jetzt bist du einer noch größeren Liebe begegnet. Sag mal, bist du ein Teenager oder eine erwachsene Frau? Wo kämen wir hin, wenn man jeder Gefühlsduselei gleich nachgäbe. Hast du denn jede Selbstkontrolle über dich verloren?«
»Ja!«
Sie biss sich auf die Lippen, als sie das sagte und sah ihn an. Mehr gab es aber nicht dazu zu sagen, als nur dieses eine Ja.
Jörg fasste sich, stand schwer atmend auf und sah auf sie herunter. »Komm wieder zu dir Julia, du spinnst gerade augenblicklich ein bisschen! Das soll ja in den besten Familien vorkommen.«
»Nein, ich spinne nicht, Jörg! Es ist mir bitterernst, auch wenn ich dir das nicht wirklich plausibel machen kann. Ich verlasse dich! Ich habe diese Woche Urlaub, und ich packe jetzt einen Koffer und fahre wieder zurück an die Ostsee, um Abstand zu gewinnen. Nächste Woche regeln wir alles weitere.« Sie schob sich an ihm vorbei und ging nach oben, um ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Unten hörte sie die Haustür ins Schloss krachen.
Auf der Fahrt zurück nach Travemünde fühlte sie sich groteskerweise besser. Es war richtig, wieder in das Hotel zurückzufahren, an den Ort, an dem ihr neues Glück begonnen hatte. Tobias hatte ihr versprochen, dort auf sie zu warten. Als sie die Eingangshalle des Hotels betrat, kam er ihr entgegen und schloss sie erleichtert und zugleich mitfühlend, stumm in seine Arme.
Kapitel 15
Diese Woche war wie im Fluge vergangen. Tobias freute sich auf das vor ihm liegende Wochenende. Hoffentlich hielt das Wetter noch an, denn der Wetterbericht im Radio hatte für den heutigen Freitag und für morgen zwar noch überwiegend Sonne in Aussicht gestellt, vereinzelte örtliche Schauer jedoch nicht ausgeschlossen, die zum Sonntag dann in Regen übergehen sollten.
Erstaunlich, wie viele Bezeichnungen die Wetterfrösche für Naturphänomene dieser Art benutzten. Naja, es war ja ihr Job, ihre Prognosen so auszudrücken, dass alles eintreten konnte: Regen, Sonne, Wind, Wolken. Automatisch dachte er an ein Sprichwort aus seiner Stader Heimat: Kräht der Hahn auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt wie es ist.
Schmunzelnd betätigte er den Blinker, um von der linken Spur nach rechts zu wechseln. Rasthof Buddikate flog vorbei, Tobias genoss die lautlose Geschwindigkeit seiner schweren Limousine. Die Tachonadel pendelte um die Zweihundert, denn es war noch nicht viel Verkehr.
Er hatte sich beeilt, so dass er nach dem morgendlichen Routinekram in der Kanzlei rechtzeitig Schluss machen konnte. Ab nächster Woche würde Ella aus dem Urlaub zurück sein, und es würde im Büro wieder so etwas wie Leben herrschen. Aber jetzt kein Gedanke mehr an die Arbeit!
Er würde Julia mit seiner frühen Ankunft überraschen, denn eigentlich hatte er nicht damit gerechnet, dass er so zeitig fertig sein würde. Noch beim morgendlichen Telefonat hatte er ihr erzählt, dass er wahrscheinlich erst am späten Nachmittag in Travemünde eintreffen würde.
Sie wollten dieses Wochenende beraten, wie es weitergehen sollte. Julia war die Tage über sehr zerrissen und wechselhafter Stimmung gewesen, hatte sich aber bemüht, es ihm nicht zu zeigen. Seine feine Antenne nahm ihren Kummer und ihren Gewissenskonflikt jedoch sehr aufmerksam wahr. Er konnte ihre Gewissensbisse ihrem Mann gegenüber verstehen.
Er selbst hatte hingegen weniger Skrupel, zumal keine Kinder durch die Scheidung betroffen waren. Wenn zwei Menschen, wie sie beide, aufeinander trafen und so starke Gefühle der Zusammengehörigkeit füreinander empfanden, dann sollte es eben so sein - das war eben Schicksal!
Dieser Jörg würde eine andere Frau finden, überdies schien er ja schon eine Braut zu haben, nämlich seine Bigband. Menschen, die Musik machen, komponieren und arrangieren
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