Milchmond (German Edition)
gewesen.
Julia hatte ihm beim Abschied gesagt, dass sie den Tag noch in Travemünde verbringen wolle, sie müsse nachdenken. Er verstand es und fuhr bangen Herzens zurück nach Hamburg. War für ihn auch alles klar, so war ihm doch bange, zu welchen Entschlüssen sie kommen würde. Wie mochte sie sich jetzt fühlen? Würde sie Bedauern und Reue überkommen? Würde er von ihr eine Nachricht erhalten, dass sie sich nicht wieder sehen könnten, er müsse verstehen? All dies ging ihm im Kopf herum, und ihm wurde klar, dass er ihr auf ihrem schweren Weg festes Geleit würde geben müssen.
Sie vereinbarten beim Abschied, dass sie ihn anrufen würde, bevor sie von Travemünde aufbrach und ihren schweren Weg zurück nach Hamburg antrat.
Kapitel 14
Als er sich verabschiedet und die Zimmertür hinter sich geschlossen hatte, ging Julia für einige Minuten ans Fenster und nahm die wundervolle Aussicht aus dem siebten Stockwerk des Hotels auf die blaue, im Dunst der Frühsonne liegende Ostsee in sich auf. Danach legte sie sich wieder ins Bett. Träumte sie das alles? Ihr Leben schlug Purzelbäume und sie fühlte sich seltsam leicht und schwer zugleich.
Als sei sie plötzlich zwei Julias in einer einzigen Person: Die eine Julia, die jetzt in diesem Bett lag war verwirrt, glücklich, dankbar und hatte diese Nacht mit einem Mann verbracht, der noch gestern so gut wie keine Rolle in ihrem Leben gespielt hatte. Nun war alles anders! Die zurückliegende Nacht war die verrückteste ihres Lebens. Sie hatte sich in seinen Armen so wunderbar geborgen gefühlt. Sie hatten einander ihre Hoffnungen und Wünsche erzählt und viele, fast zu viele Gemeinsamkeiten entdeckt.
So hatten sie sich in den Armen gelegen wie im Zauber einer überirdischen Magie und die Nähe des anderen genossen - ohne Sex gehabt zu haben. Nicht, dass sie und so glaubte sie zu wissen, er nicht auch, daran gedacht hätten, aber... sie hatten gespürt, dass es nicht gepasst hätte, denn es hätte den Zauber zerstört. Sie wussten beide, dass es wunderschön sein würde, wollten jedoch diese fast heilig zu nennende Atmosphäre nicht durch die Freuden einer körperlichen Liebe durchbrechen, die auf einer anderen Ebene angesiedelt zu sein schien. Sex konnte man schließlich mit mehr als einem Menschen genießen, aber das, was ihnen gerade widerfuhr, erschien ihnen an Einmaligkeit nicht mehr überbietbar.
Es war die Nacht, in der sich ihre beiden Seelen berührten und fanden. Statt einer Ernüchterung am nächsten Morgen, stellte sich etwas anderes ein; etwas neues, nie Dagewesenes bemächtigte sich ihrer: Die blitzartige Erkenntnis, dass sie und Tobias zusammengehörten, ohne wenn und aber. Sie wusste selbst, dass das für andere Menschen seltsam klingen musste und hinterfragte ein ums andere Mal, was mit ihr passierte. Alles Fragen nützte nichts, es gab nur die eine Antwort: Ja, Tobias war ihre fehlende Hälfte, die sie erst zum vollständigen Menschen machte!
Diese Erkenntnis barg ohne Umwege auch die andere Seite der Medaille, dass sie ihre Ehe mit Jörg nicht weiterzuführen vermochte und sich eingestehen musste, dass die Heirat ein Fehler war. Ein Irrtum, keine Frage einer Schuld, weil die Erfahrung dieses neuen Gefühls vorher jenseits ihres Vorstellungsvermögens und ihrer Erfahrung gelegen hatte, als sei sie bis dahin blind gewesen und erst durch Tobias sehend geworden.
Diese andere Julia in ihr fühlte sich traurig, schuldig und ängstlich. Sie scheute das Zusammentreffen mit Jörg, dem sie nur eine kurze SMS gesendet hatte, dass sie erst am Montag zurück nach Hamburg käme. Danach hatte sie ihr Handy ausgeschaltet.
Sie würde es ihm beibringen müssen, das gebot schon die Fairness, denn sie hatte keine Lust, ein Spiel der Falschheit und des gegenseitigen Betruges zu spielen.
Wie würde es ihre Familie aufnehmen? Mama, Papa, Johannes? Sie würde tapfer sein müssen und sie würde damit rechnen können, dass man ihr die Schuld gab. Sie dachte zurück an ihr gestriges Gefühl beim Schwimmen: Sie war dem Horizont entgegen geschwommen und hatte sich dabei gefühlt, wie eine Schlange beim Häuten, allen Ballast hinter sich zurücklassend.
Dieser vergangene Sonntag war der Wendepunkt in ihrem Leben. Es war der Tag, an dem sie wirklich erwachsen wurde, die Rolle der wohlerzogenen Tochter aus gutem Hause endgültig zu Ende war. Sie würde ihr Leben von jetzt an wirklich und bewusst in die
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