Milchrahmstrudel
abgeleckt hatte, in mundgerechte Stücke zerteilte, berichtete Fanni, wodurch sie aufgehalten worden war. Dabei hielt sie sich hart an die Wahrheit, erzählte allerdings nur einen unwesentlichen Teil davon: »Auf dem Weg zu Tante Luise bin ich mit dem Pflegedienstleiter zusammengetroffen und kam ins Gespräch mit ihm. Wenig später hat sich noch der Heimleiter dazugesellt. Die beiden waren auf dem Weg zu einem Meeting mit Dr. Benat, dem Anwalt, der etliche von den Senioren in der Katherinenresidenz betreut und dem viel an der Einrichtung zu liegen scheint.«
»Dr. Benat«, sagte Hans beeindruckt und verfeinerte den Happen Leberkäs zwischen seinen Zähnen mit einem Mundvoll Bier. »Du hast mit Dr. Benat gesprochen?«
»Nein«, berichtigte Fanni. »Ich habe mit dem Heimleiter gesprochen. Er hat mir von seiner und Benats Zusammenarbeit zum Wohl der Katherinenresidenz erzählt. Deshalb bin ich so spät dran.«
Hans Rot warf ihr einen beifälligen Blick zu. »Müller ist schwer in Ordnung, und Dr. Benat ist ein ganz feiner Mensch. Von allen geschätzt und doch so bescheiden. Er würde auf der Stelle in den Stadtrat gewählt werden. Ach, was sag ich – zum Bürgermeister würde man ihn machen, wenn er je für so ein Amt kandidieren wollte.«
»Außer an Altenbetreuung liegt ihm wohl nichts an sozialem Engagement«, meinte Fanni darauf.
Hans Rot brach in wieherndes Gelächter aus. »Und das aus dem Mund einer Soziopathin.« Er schob sich eine weitere Fuhre Leberkäs mit Senf in den Mund und fügte ernst werdend an: »So kann man das nicht sagen. Dr. Benat lehnt kein Ehrenamt ab. Er sitzt in den Vorständen sämtlicher Vereine. Und er hat, wie es heißt, für alles und jeden ein offenes Ohr, einen guten Rat, ein Hilfsangebot. Nachbar Stuck hat neulich in der Schafkopfrunde erzählt, dass sich Dr. Benat nicht dafür zu gut ist, persönlich bei Behörden und Arbeitgebern vorstellig zu werden, um soziale Ungerechtigkeiten zu nivellieren.«
Soziale Ungerechtigkeiten zu nivellieren! Da hat Stuck aber eins vom Stapel gelassen!
Fanni presste die Lippen fest aufeinander, damit ihr Mann nicht merkte, wie es um ihre Mundwinkel zuckte.
Soziale Ungerechtigkeiten nivellieren! Wie macht dieser Anwalt denn das? Verteilt er Kohlköpfe bei der Tafel?
»Benat scheint wirklich wohltätig zu sein«, sagte Fanni matt.
»Was man von diesem Pflegedienstleiter nicht behaupten kann«, erwiderte Hans Rot.
Da fragte Fanni betont harmlos: »Was gibt es gegen den einzuwenden?«
»Schau ihn dir doch bloß an, wie er herumläuft«, entgegnete Hans Rot. »Anzug, Krawatte, gewichste Schuhe, Großprotzuhr. Als wäre er der Direktor vom Ritz und nicht der Pflegedienstleiter vom Katherinenheim, wo man Windeln wechseln und Gummistrümpfe über Krampfaderwaden ziehen muss.«
»Das ist als Pflegedienstleiter wohl nicht mehr seine Aufgabe«, gab Fanni zu bedenken.
Widerspruch konnte Hans gar nicht leiden, und besonders ärgerte es ihn, wenn er von Fanni kam. »Denk doch mal eine Sekunde lang nach, bevor du quatschst«, rief er und stieß seine Gabel empört ins letzte Stückchen Leberkäs. Ein Batzen Senf rutschte ab und klatschte aufs Tischtuch. »Rennt ein Polier auf der Baustelle im Frack herum?«
Fanni hob die Schultern, um zu signalisieren, dass sie mit dem Vergleich nicht viel anfangen konnte. Bevor sie jedoch dazu kam, etwas zu erwidern, läutete im Flur das Telefon. Hans Rot spülte den Rest seines Abendbrots mit einem Schluck Bier hinunter, stand auf und ging hinaus, um abzuheben.
Schon eine Minute später – Fanni hatte kaum die Teller ineinandergestellt – kehrte er unerwartet gut gelaunt zurück. »Das war Nachbar Stuck. Sein Onkel ist vorhin bei ihm aufgekreuzt. Und Böckl von gegenüber ist offenbar gerade mit dem Rasenmähen fertig geworden.« Hans grinste. »Jetzt fehlt nur noch der vierte Mann für den gepflegten Schafkopf.«
Fanni atmete auf. Innerhalb eines Augenblicks würde Hans im Nachbarhaus verschwunden sein und ihr dadurch die Gelegenheit verschaffen, das Erlebnis von heute Nachmittag dem einzigen Menschen zu berichten, der sie nicht gleich für verrückt erklären würde.
Da tust du Leni aber Unrecht und dem Heimleiter der Katherinenresidenz auch!
Fanni pflichtete ihrer Gedankenstimme uneingeschränkt bei.
Ja, Müller hatte sie ernst genommen. Und Fannis älteste Tochter würde den Bericht ihrer Mutter noch viel ernster nehmen. Leni würde ihr sicherlich nicht einreden wollen, sie habe halluziniert, als sie
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