Milchrahmstrudel
uns erlaubt, ohne Zwang – besser gesagt ohne vermeintlichen Zwang – zu entscheiden.«
Fanni war ein bisschen traurig, als sie ihm zustimmte.
»Ich hoffe – nein, ich glaube fest daran«, fuhr Sprudel fort, »dass eines Tages der Zeitpunkt da sein wird, ab dem wir beide zusammen weitergehen. Und ich wünsche mir sehr, dass er bald da sein wird.« Er lächelte warm. »Wir werden es wissen, wenn es so weit ist.«
Da fühlte sich Fanni plötzlich, als wäre ihr eine Last genommen worden. Sprudel hatte eine Prophezeiung gemacht, und diese Prophezeiung hatte die Patentlösung enthüllt, den Ausweg aus der Sackgasse, die Lösung des gordischen Knotens.
Der Tag, der sie vereinen sollte, würde kommen, und er würde sich zu erkennen geben. Und bis dieser Tag kam, brauchte es kein Taktieren mehr. Kein Hin-und-her-Überlegen, kein zuvor festgelegtes Verhalten. Ja, nicht einmal ein ständiges Daraufachten, dass sie sich nicht leichtsinnig in eine Situation brachten, die sie zu überrollen imstande war.
Fanni war so erleichtert, dass sie übermütig wurde. »Und wo werden wir dann wohnen? Wo lassen wir uns nieder, nachdem uns unser Schicksalstag zusammengeführt hat?«
»Am liebsten gar nicht«, antwortete Sprudel mit leisem Glucksen.
»Gar nicht?« Fanni schaute so verdutzt, dass Sprudel laut herauslachte.
»Ich würde so gerne mit dir in ferne Länder reisen, Fanni, sämtliche Kontinente mit dir gemeinsam kennenlernen. Ich habe mir sogar schon überlegt, wie sich das finanzieren ließe.«
»Du würdest das Saller-Anwesen verkaufen«, riet Fanni.
Sprudel nickte. »Ich gehöre nicht hierher, und ich glaube, wenn du erst einmal von deinem Mann getrennt bist, dann wirst auch du nicht mehr hier wohnen wollen.«
»Ich wüsste nichts, was mich hält«, stimmte ihm Fanni zu. »Reisen, reisen wäre wunderbar …« Sie schloss die Augen und begann, von den Südseeinseln zu träumen, von Asien und Australien, von Sandwüsten und Berggipfeln.
»… aber auch die Lofoten«, hörte sie Sprudel sagen, während sie sich mitten in der kargen Landschaft des peruanischen Altiplano befand.
Sprudel meldete sich, wie gesagt, nach dem zweiten Klingelton, als Fanni am Mittwoch, dem 23. Juni, bei ihm anrief.
Sie hielt sich nicht mit langen Vorreden auf. »Sprudel, ich habe heute Nachmittag im Seniorenheim eine Leiche entdeckt.«
Es sprach für das tiefe Einvernehmen, das zwischen ihnen herrschte, dass Sprudel weder antwortete: »In einem Seniorenheim sollte man damit rechnen, Verstorbene vorzufinden«, noch mäkelte: »Willst du mir nicht erst Guten Tag sagen, bevor du mir einen neuen Fall auftischst?«
Es gelang ihm allerdings nicht ganz, einen Seufzer zu unterdrücken, den ihm Fanni jedoch bereitwillig einräumte. Außerdem glaubte sie, ihn »Bitte nicht schon wieder« murmeln zu hören.
Laut sagte Sprudel: »Hast du Marco verständigt?« Er machte sich offensichtlich nichts vor. Fannis Leichen waren ebenso gewiss ermordet worden, wie sich an einem Werktagmorgen der Verkehr am Deggendorfer Kohlberg staute.
»Das konnte ich nicht«, antwortete Fanni. »Als ich mit dem Pflegedienstleiter zurückkam, war der Tote weg.«
Sprudel wartete. Er wusste, dass es keiner Aufforderung bedurfte, Fanni würde unverzüglich Bericht erstatten – anschaulich, sachlich, schnörkellos.
Sie packte die Informationen in fünf kurze Sätze.
»Ein junger Pfleger«, wiederholte Sprudel. »Sportlich fit und recht kräftig. So ein strammer Kerl«, sprach er weiter, »könnte sich auch mit einer schweren Verletzung noch fortgeschleppt haben. Zu einem Arzt vielleicht. Es gibt doch bestimmt einen Arzt im Haus?«
»Die Arztpraxis liegt im anderen Flügel«, erwiderte Fanni.
»Dann ist es doch nahe liegend –«, begann Sprudel, aber Fanni unterbrach ihn.
»Natürlich. Aber warum haben sich dann keine Blutspuren gefunden – am Tatort nicht und vor allem nicht: weg vom Tatort.«
Tatort! Jetzt ist es heraus!
Sprudel seufzte wieder. »Du gehst von einem Verbrechen aus und davon, dass der Täter die Leiche verschwinden ließ. Gibt es dafür noch mehr Gründe außer den fehlenden Blutspuren, die – wie du vermutlich annimmst – vom Täter entfernt wurden?«
Fanni zögerte einen Moment, dann sagte sie kühn: »Das Verhalten des Pflegedienstleiters erschien mir sonderbar. Er vermittelte nicht den Eindruck, als würde er sich Sorgen machen, dass Roland tot oder verletzt sein könnte. Und er hat kein Wort davon verlauten lassen, dass Roland – wie
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