Milchrahmstrudel
straffte, die Brust herausdrückte und das Kinn hob.
Tante Luise kicherte. »Roland hat den Betrieb hier ganz schön aufgemischt. Was er wohl gerade treibt?«
»Das wüsste ich auch gern«, entgegnete Fanni und steuerte auf die Seitentür zu, die direkt zum rückwärtigen Fahrstuhl führte. Sie öffnete sich automatisch, als der Rollstuhl den Sensor passierte. Dennoch musste Fanni davor anhalten, um eine junge Frau vorbeizulassen, die sich am treffendsten mit dem Wort »betörend« beschreiben ließ.
Die Mieze sieht aus wie ein Laufsteg-Model!
Definitiv, dachte Fanni, ellenlange Beine, schmale Taille, eng anliegendes Kleid in knalligem Rot. Sie fragte sich gerade, ob die Heimleitung der Katherinenresidenz den Senioren am heutigen Nachmittag eine Modenschau geboten hatte, da sagte Luise:
»Na, Verena, endlich Feierabend?«
Erst als das Mädchen den Mund aufmachte, erkannte Fanni die junge Putzfrau wieder.
»Ja, g’hörig langt’s für heit, in d’ Haut eine langt’s mir«, erwiderte Verena verdrießlich. Doch gleich darauf lächelte sie, und das Lächeln ließ sie wieder zur Schönheitskönigin werden – so lange, bis sie weitersprach: »Oba jetz hob i a Deit. Is des net super?« Geschwind stöckelte sie davon.
Fanni fragte sich, mit wem Verena wohl verabredet war.
Mit einem, der amerikanisiertes Niederbayrisch versteht! Ein Date, du liebe Güte!
»Herrgott«, murmelte Fanni, »warum hast du ihr dieses hübsche Gesicht gegeben, diese tolle Figur, diesen aufregenden Gang und ihr die Schriftsprache vorenthalten?«
Tante Luise, deren Gehör durch den Sturz von der Leiter offenbar ebenso wenig Schaden davongetragen hatte wie ihr Mundwerk, kicherte. »Ach Fannilein, Grütze hätte unser Herrgott der kleinen Verena mitgeben müssen – Grips, Intelligenz, wenigstens den doppelten IQ einer Butterblume –, dann hätte sie die Schriftsprache von selbst gelernt, Englisch und Französisch gleich dazu.«
Und wäre womöglich Hostess geworden!
Ja, dachte Fanni, kein übles Sprungbrett, wie sich dort und da gezeigt hat.
Eine halbe Stunde später eilte Fanni die Allee in der entgegengesetzten Richtung wieder hinunter. Sie hatte Tante Luise auf ihr Zimmer gebracht, und sie hatten sich gegenseitig das Versprechen gegeben, »an der Sache mit Roland dranzubleiben«. So jedenfalls hatte Tante Luise ausgedrückt, was sie beide aus unterschiedlichen Motiven dazu trieb, weitere Erkundigungen über den Pfleger einzuziehen.
»Ich will ihn zurückhaben hier in der Katherinenresidenz«, hatte Tante Luise hinzugefügt. »Sobald mir zu Ohren kommt, dass Roland sein Intermezzo in den Bergen beendet hat, werde ich ein Wörtchen mit Heimleiter Müller reden. Und die Heimbeiräte werde ich so lange bearbeiten, bis sie mir versprechen, dass Roland weiterbeschäftigt wird. Sicherheitshalber werde ich auch Dr. Benat impfen. Und dann werden wir mal sehen, ob sich der Pflegedienstleiter durchsetzen kann oder ob mir mittwochs wieder Roland Milirahmstrudel bringt.«
Und ich, hatte Fanni gedacht, will Klarheit haben. Denn der leichtlebige Berghütten-Roland, den mir alle unterschieben wollen, verträgt sich denkbar schlecht mit dem tödlich Verwundeten, den ich gestern auf der Hintertreppe liegen sah.
Fanni lief an den Ruhebänken vorbei, die den mittleren Abschnitt der Allee säumten und jetzt am Abend alle verwaist waren. Alle bis auf eine.
Fanni verhielt den Schritt, als sie das Schluchzen hörte. »Verena! Ich dachte, Sie wären längst bei Ihrem Date.«
Verena hob den Arm und deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf einen kleinen, offenen Pavillon, der in dem Park, der an die Allee angrenzte, auf einer kleinen Anhöhe stand. »Er is net kemma.«
Versetzt worden, die Kleine!
»Ihr Freund ist vermutlich aufgehalten worden. Bestimmt meldet er sich gleich«, sagte Fanni beschwichtigend.
Verena wedelte mit ihrem Handy. »I hob eahm scho angruafa. ›Net erreichboar‹ hoast’s.« Mehr zu sich selbst fügte sie hinzu: »Soit’s ebba woahr sei, wos die olle song?«
Fanni setzte sich neben das Mädchen. Verena hatte erneut angefangen zu weinen. Die Wimperntusche malte abstrakte Kunstwerke auf ihre Wangen.
»Soviel ich weiß«, erklärte Fanni in besänftigendem Ton, »kommt es öfter vor, dass sich Handyverbindungen nicht herstellen lassen. Vielleicht steckt Ihr Freund mitten in einem Tunnel im Stau. Aber sobald er wieder im Funknetz ist, werden Sie Kontakt zu ihm bekommen.« Sie lächelte Verena aufmunternd an. »Wer
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