Milchrahmstrudel
dacht …«
»Doch, doch«, beeilte sich Luise zu versichern. »Ich esse ihn gleich auf. Und vielen Dank auch.«
»Feit se nix«, kam daraufhin von Verena die bayerwäldlerische Version des hochdeutschen »gern geschehen«, des amerikanischen »welcome«, des französischen »mon plaisir«. Daraufhin sah sie Luise grüblerisch an, als müsse sie überlegen, weshalb sie eigentlich hier war. Nach einigen Augenblicken fiel es ihr offenbar ein. Sie streckte die Hand mit den lila lackierten Fingernägeln aus. »Ja nacher, Pfüat God, Frau Rot.«
Luise hielt Verenas Hand lange in ihren beiden, wünschte dem Mädchen alles Gute für die Zukunft und fragte zum Schluss ganz beiläufig: »Wo haben Sie denn heute einen Milchrahmstrudel für mich aufgetrieben, Verena?«
»Den hot mir wer mitgebn, der wo woaß, wia gern Sie so an Strudel meng. Oba i derf eam net verrotn, weil er ‘n in der Küch einfach hot mitgehn lassn.«
Daraufhin verabschiedete sich Verena auch von Fanni und Sprudel, die ihr ebenfalls gute Wünsche mit auf den Weg gaben.
Sie war schon an der Tür, als Luise sie noch mal zurückrief und ihr einen Geldschein zusteckte.
Dafür bedankte sich Verena lächelnd mit einem »Gelt’s God, Frau Rot«.
Die altmodische Dankesformel, die bedeutete: »Gott möge dir vergelten, was du für mich getan hast« und als Antwort »Segn’s God« verlangte, zu Hochdeutsch: »Gott segne, was du erhalten hast«, war Fanni schon lange nicht mehr untergekommen.
Luise schien diese Art des Dankens ganz aus dem Kopf geschwunden zu sein, denn sie erwiderte: »Keine Ursache, mein Kind!«, was Verena etwas ratlos zurückblicken und zögerlich die Klinke hinunterdrücken ließ.
Als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, musterte Fanni den kaum angerührten Milchrahmstrudel und blickte dann fragend zu Luise.
»Schmeckt heute ganz eklig«, sagte die. »Gar nicht wie sonst.«
»Verdorben?«, fragte Fanni. »Milchrahmstrudel gibt’s doch immer mittwochs. Vielleicht stand das Stück schon die ganze Woche lang in der Küche herum.« Sie nahm den Teller in die Hand und schnupperte. »Riecht aber nicht so, als wäre die Milch sauer geworden.«
Luise grub mit ihrer Gabel einen Tunnel durch den Strudel, den Fanni wieder auf den Tisch zurückgestellt hatte. »Die Äpfel sehen wässrig aus.«
»Dann könnte das Stück eingefroren gewesen sein«, meinte Fanni, »und Verena hat es in der Mikrowelle aufgetaut.«
»Macht die Mikrowelle, dass Milchrahmstrudel wie Terpentin schmeckt?«, erkundigte sich Luise.
»Eigentlich nicht«, antwortete Fanni.
»Eben«, sagte Luise, »und Verena hat ihn bestimmt nicht aufgetaut. Sagte sie nicht: ›Den hot mir wer mitgebn‹?« Luise ahmte den ihr längst nicht mehr geläufigen Dialekt recht gekonnt nach.
Fanni nickte. »Verena wurde als Überbringerin eines Stücks Milchrahmstrudel benutzt, das anders schmeckt, als es sollte.« Sie stand auf, trat in Luises winzige Küche, nahm einen frischen Löffel aus einer Schublade und wollte den Strudel kosten, aber Sprudel hinderte sie daran.
»Fanni, nicht!«
»Lass lieber die Finger davon«, sagte Luise gleichzeitig.
»Es hat womöglich nichts Gutes zu bedeuten, wenn jemand Verena als Handlangerin benutzt und ihr aufträgt, seinen Namen nicht zu nennen«, fügte Sprudel hinzu.
Fanni schloss für einen Moment die Augen. Beunruhigt ließ sie die Ereignisse der vergangenen Tage wie eine Diashow in ihrem Kopf ablaufen.
Roland Becker war ermordet worden. Der Täter hatte es – vermutlich mit Hilfe eines Komplizen – geschafft, Rolands Leiche zu beseitigen und die Belegschaft mit gefälschten Lebenszeichen in die Irre zu führen. Dummerweise war ihm Fanni kurz nach dem Mord in die Quere gekommen. Deshalb hatte er begonnen, ihr auf die Finger zu sehen. Er hatte ihr nachspioniert und ihre Gespräche mit Luise Rot belauscht. Als er gehört hatte, sie wolle sich auf der Zellerhütte nach Roland erkundigen, hatte er dafür gesorgt, dass ihr Auto nicht ansprang, wobei er allerdings nicht mit Sprudels tatkräftiger Mitwirkung gerechnet hatte.
Es wurde eng für Rolands Mörder, als Fanni mit der Auskunft zurückkehrte, Roland sei nie auf der Zellerhütte gewesen, und zudem auf einmal Aufzeichnungen besaß, nach denen er selbst vergeblich gesucht hatte. Als Fanni jene Notizen Luise überließ, brachte er den Spiralblock gewaltsam in seine Hände.
Irgendwann danach, überlegte Fanni, ging ihm auf, dass sich Luise die Kürzel schon genau angesehen haben und es
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