Milchrahmstrudel
Flurs erklangen Schritte. Hastig stieß sich Fanni von der Wand ab und eilte weiter in Richtung Hintertreppe. Ursprünglich hatte sie ja ohnehin vorgehabt, diesen Weg zu nehmen, weil es der kürzeste zu ihrem Auto war. Nun musste sie wieder einen Quergang zurück, zu dem Flur, auf dem Luises Zimmer lag, daran vorbei und geradeaus weiter bis zum Treppenaufgang.
Sie lief hinunter und gelangte wenig später auf den Parkplatz.
Fanni nahm den Korb aus dem Kofferraum, schloss den Wagen ab und kehrte rasch ins Gebäude zurück.
Als sie an der Tür des Aussegnungsraums vorbeikam, hörte sie von drinnen ein Rumoren.
Da muss die Nagel aufgebahrt sein!
Fanni fragte sich, wer wohl bei der Verstorbenen war. Da Tote gewöhnlich keine Geräusche machten, musste sich jemand im Aussegnungsraum aufhalten.
Sie stellte den Korb neben der Topfpflanze ab, die – wie ihr erst jetzt aufging – dazu diente, den Zugang zum Aussegnungsraum weitgehend zu verdecken, und drückte leise die Klinke hinunter.
Die Tür schwang lautlos auf.
Als Erstes fiel Fanni der offene Sarg auf dem Podest in der Mitte des Raumes ins Auge.
Sie konnte die Tote darin gut erkennen. Doch irgendetwas an dieser Toten kam ihr merkwürdig vor.
Erst ein zweiter, scharfer Blick sagte Fanni, was es war.
Die Leiche war mitnichten so in den Sarg gebettet, wie es der Sitte entsprach. Sie lag auf der rechten Seite, so dicht an den Sargrand gepresst, dass neben ihr noch zwei Handspannen breit Platz übrig war.
Auf einmal hörte Fanni ein Schaben und schaute in die Richtung, aus der es kam.
Der Hausmeister stand gebückt an der Schmalseite des Möbelstücks, das Fanni, als sie zum ersten Mal hier gewesen war, für eine Art Altar gehalten hatte. Er zog gerade eine Schiene heraus, von deren Oberfläche kleine Dampfwölkchen aufstiegen.
Im selben Augenblick wurde Fanni klar, worum es sich bei dem Möbel handelte.
Um eine Kühlanlage für die Verstorbenen der Katherinenresidenz!
Plausibel, dachte Fanni. Im Aussegnungsraum kann ja immer nur ein Toter aufgebahrt werden. Was aber, wenn zufällig zwei Heimbewohner am selben Tag sterben? Was, wenn Verwandte, die sich von ihrem verstorbenen Angehörigen verabschieden wollen, mehrere Tage für die Anreise brauchen?
Der Hausmeister hatte sich an einem Bündel zu schaffen gemacht, das auf der Schiene lag, die er soeben herausgezogen hatte.
Plötzlich witterte Fanni denselben Geruch, den sie bereits vergangene Woche – wesentlich schwächer allerdings – wahrgenommen und den womöglich doch nicht künstlichen Lilien zugeschrieben hatte.
Sie reckte den Hals.
Und dann sog sie scharf die Luft ein, was sich als verhängnisvoll erwies, denn es brachte sie zum Würgen.
Der Hausmeister hatte Roland Beckers Leiche bereits ein Stück aufgerichtet, nun ließ er sie erschrocken wieder zurückfallen.
Er sah auf und starrte Fanni verdattert an.
Lauf schnell weg!
Fanni aber stand stocksteif. Sie hatte begriffen, was hier vor sich ging. Die Bestürzung darüber nagelte sie fest.
Roland Becker war die ganze Woche über in dieser Kühlanlage aufbewahrt worden. Aus irgendwelchen Gründen – Zeitmangel vielleicht – hatte man seine Leiche nicht mit Herrn Bonner entsorgen können. Man musste den nächsten Todesfall abwarten, der sich aber erst gestern ereignet hatte. Nun sollte Roland zu Frau Nagel in den Sarg gelegt werden.
Fanni fuhr zusammen und ging in die Knie. Etwas Schweres, Kantiges hatte sie am Kopf getroffen.
»Pack ihn endlich rein«, hörte sie eine harte Stimme.
Fanni stützte sich mit den Händen am Boden auf, schaute hoch und erblickte ihr eigenes verschwommenes Spiegelbild in den Gläsern einer Brille.
Es dauerte einen Moment, bis sich ihr Gesichtsfeld weitete und klärte.
»Sie hätten nicht hier hereinkommen sollen, Frau Rot«, sagte Benat. Sein Tonfall erinnerte kaum noch an das freundlich-vertrauliche Raunen, das sie von ihm kannte. Er machte eine einladende Bewegung. »Das haben Sie jetzt von all dem Herumschnüffeln. Sie dürfen Beckers Platz im Kühlkatafalk einnehmen.«
Fanni spürte einen Schlag ins Genick und knickte wieder ein.
Sie merkte, wie ein Stück Klebeband auf ihren Mund gespannt und festgedrückt wurde. Einer der beiden Männer drehte ihr die Handgelenke auf den Rücken und band sie zusammen.
»Das reicht«, hörte sie Benat sagen. »Sie macht’s ja nicht lange da drin.«
Fanni fühlte sich an Armen und Beinen hochgehoben und gleich darauf grob wieder abgelegt. Als Nächstes nahm sie
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