Milchrahmstrudel
Beckers Ableben fand in der Katherinenresidenz die feierliche Einweihung der Kapelle statt. Ich war dabei, Sepp war dabei, davon gibt es sogar Zeitungsfotos.«
Fannis Gedanken rasten. Der Tag vor dem Mord! Warum gab Benat sich und seinem Komplizen für diesen Tag ein Alibi, wenn er keine Rolle spielte?
Verena war an diesem Tag in München!
Aber wir haben sie ja gefragt. Sie hat nichts in einen Briefkasten geworfen, nur die Mappe mit ihren Unterlagen abgegeben.
Wer sagt, dass da nur ihre Unterlagen drin waren? Pokern, Fanni! Big Blind!
»Sie hatten eine dritte Option, Benat«, sagte Fanni und versuchte Herablassung in ihre Stimme zu legen. »Verena.«
Sie merkte, wie Benat erschrak. Hinter den Brillengläsern funkelte es verräterisch.
Full House, Fanni! Aber das wird nicht reichen!
Benats Hand tauchte wieder auf.
»Der Mord an Roland war also tatsächlich geplant«, beeilte sich Fanni zu sagen. »Denn Sie haben Brief und Karte ja noch bevor er ausgeführt war, auf den Weg geschickt.«
Benats Hand begann unwillig zu wedeln. »Nach all dem, was Sie glauben, herausgefunden zu haben, müssten Sie doch wissen, dass Becker nicht im Affekt getötet wurde.«
»Aber warum dann auf der Hintertreppe des Seniorenheims?«, fragte Fanni in dem verzweifelten Versuch, weitere Zeit zu gewinnen.
Benat stieß einen Seufzer aus. »Ich musste leider improvisieren. Natürlich sollte Becker hier im Aussegnungsraum sterben, sofort zu Bonner in den Sarg kommen und wenig später mit ihm abtransportiert werden. Aber Becker hat Lunte gerochen.«
»Woher wussten Sie, dass Roland an diesem Nachmittag in der Katherinenresidenz sein würde«, hakte Fanni nach. »Er hatte doch Urlaub.«
Sie merkte, wie Benat den Kopf schüttelte. »Frau Rot, Ihr Denkapparat stellt seine Tätigkeit bereits ein. Ich hatte Becker gebeten, sich am Hintereingang der Katherinenresidenz mit mir zu treffen. Ich versprach ihm, die … kleinen Anomalien, die ihm offensichtlich aufgefallen waren, zu erklären.«
»Aber Roland folgte Ihnen nicht in den Aussegnungsraum, wie Sie es vorschlugen, sondern begann, die Treppe hinaufzusteigen«, plapperte Fanni planlos.
Vergebens! Deine Zeit ist bereits abgelaufen!
Trotzdem!
»Auf dem Treppenabsatz haben Sie ihn erstochen. Dann sind Sie zurückgelaufen, um den Hausmeister zu holen. Er musste Ihnen ja helfen, Roland dort wegzuschaffen. Und da geriet ich dazwischen.«
»Allerdings«, knurrte Benat.
Du kannst ihn nicht ewig hinhalten!
»Sie kamen nicht dazu, Roland einzusargen, steckten ihn nur schnell in den Kühlkatafalk«, machte Fanni angsterfüllt weiter. »Und all das bescherte Ihnen danach eine Menge Aufwand. Sie mussten Müller und Hanno beschwatzen, Desinformationen streuen, und Sie mussten mich im Auge behalten. Von Frau Nagels Apartment aus haben Sie belauscht, was ich mit Tante Luise redete. So haben Sie auch erfahren, dass ich das Notizbuch gefunden und Luise gegeben hatte. Als mich Hanno wegholte, haben Sie Ihre Chance genutzt – mit Hilfe des Hausmeisters natürlich, der zuvor versucht hatte, mich an der Fahrt nach Windischgarsten zu hindern.«
Benat gab keine Antwort. Sein Schweigen fühlte sich bedrohlich an, schrecklich bedrohlich.
Fanni hetzte weiter. »Sie haben immer wieder versucht, uns aufzuhalten. Sie haben Verena mit vergiftetem Milchrahmstrudel zu Luise geschickt. Sie haben mir Ihren Komplizen an den Hals ge–«
»Schluss jetzt!« Benats Stimme schnitt ihr das Wort ab. Seine Hand senkte sich auf ihren Mund und klebte das Band wieder fest. »Sepp!«
Fanni vernahm ein befriedigtes »Hä«.
Dann spürte sie, dass die Unterlage, auf der sie lag, vorwärtsgeschoben wurde. Als die Bewegung aufhörte, war es Nacht um sie. Sie nahm noch ein kurzes Rutschen und Ruckeln wahr, dann war es nicht nur dunkel, sondern auch still.
Aus!
Es wird nicht wehtun, dachte Fanni, und ihre Gedanken waren ganz klar. Von der Kälte werde ich überhaupt nichts merken.
Sieh zu, dass du hier rauskommst! Mach dich bemerkbar! Rufen! Klopfen!
Ein Lachen stieg in Fannis Kehle auf. Rufen – mit verklebtem Mund! Klopfen – mit zusammengebundenen Händen!
Das Hämmern im Kopf hatte sich längst in einen dumpfen Schmerz verwandelt.
Das ist gut, dachte sie, das ist annehmbar. Was will ich mehr. Hier liege ich bequem und schlafe ein.
So recht bequem lag sie aber doch nicht. Irgendetwas Kleines, Hartes drückte gegen ihre rechte Hüfte. Sie versuchte, mit der linken Hand danach zu greifen, bekam es zu fassen,
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