Miles Flint 01 - Die Verschollenen
klebten zusammen, sodass sie aussahen wie kleine Stacheln. Die Augen waren gerötet. »Zuhause ist toll.«
»Warum willst du dann nicht dorthin?«
»Weil …« Sein Griff war so angespannt wie zuvor.
»Weil was?«
»Weil sie dann merken, dass sie den falschen Jungen haben.«
Auf der anderen Seite des Raums bewegte sich John Harken kaum merklich – ein Ausdruck seiner Überraschung, wie Flint erkannte. Er selbst war ebenfalls verwundert, wagte aber nicht, sich zu rühren. Immerhin war dies die erste Gelegenheit, zu der er den Jungen zum Reden hatte bringen können.
»Und wer ist der richtige Junge?«, fragte Flint.
Jasper schüttelte den Kopf.
»Jasper, ich kann dir nicht helfen, wenn du mir nicht mehr erzählst.«
Die Augen des Jungen verengten sich, füllten sich mit Tränen, aber dieses Mal hielt er sie im Zaum. »Sie haben gesagt, es wäre nicht meine Schuld.«
»Wer hat das gesagt?«
»Diese Kreaturen.«
»Was war nicht deine Schuld?«
»Dass sie gekommen sind. Sie sind gekommen, weil jemand anderes böse war.«
»Wer?«
»Weiß nicht.« Seine Stimme hatte einen klagenden Tonfall angenommen. »Ich weiß nicht; aber was passiert, wenn sie noch einen Fehler machen? June ist doch erst drei, und Jocelyn ist noch ein Baby, und wenn jemand sie mitnimmt, können die das gar nicht verstehen. Ich kann wenigstens verstehen, Mister.«
»Ich nicht«, erwiderte Flint, was zum Teil der Wahrheit entsprach. Er war nicht sicher, ob er verstand, was der Junge ihm sagen wollte.
»Diese Wygnin. Sie stehlen Kinder, Mister. Und sie mögen es nicht, wenn die Leute nicht tun, was sie wollen. Sie sind richtig wütend geworden, als ich mit den Polizisten geredet habe. Ich hätte gar nichts sagen sollen.«
»Wenn du nichts gesagt hättest«, wandte Flint sanft ein, »wärst du jetzt immer noch bei den Wygnin.«
»Aber sie haben mir gesagt, ich musste auf jeden Fall mit ihnen gehen. Sie haben gesagt, die Polizisten würden sich irren. Und ich habe Angst.« Aber seine Stimme hatte aufgehört zu zittern, und es schien, als würde er nun, da er angefangen hatte zu sprechen, doch endlich ein wenig ruhiger werden.
Flint nickte.
»Was, wenn sie mich nicht mehr wollen?«, fragte Jasper. »Was, wenn sie denken, ich bin böse? Sie könnten meine Schwestern holen, nur um mich zu bestrafen, wissen Sie?«
Flint verstand seine Angst. Und er wusste auch, dass Logik das einzige Mittel war, um sie zu bekämpfen. Er musste herausfinden, wer Jasper war, und um das zu tun, musste er die Panik des Jungen durchbrechen.
»Die Wygnin werden deine Schwestern nicht holen«, sagte Flint.
Jaspers Griff spannte sich. Es fühlte sich an, als würde er den Blutfluss in Flints Arm unterbrechen. »Woher wissen Sie das?«
»Ich weiß es«, antwortete er, »weil sie deine Schwestern schon geholt hätten, wenn sie sie hätten haben wollen. Die Wygnin waren doch in dieser Nacht in eurem Haus, nicht wahr?«
Jasper nickte.
»Bevor du aufgewacht bist, richtig?«
Wieder nickte Jasper.
»Also haben sie sich vermutlich jeden von euch angesehen, ehe sie sich für dich entschieden haben.«
»Aber was, wenn Mom und Dad herkommen und die Mädchen zu Hause lassen und die Wygnin sie dann holen? Das ist dann alles meine Schuld.«
Es war nicht seine Schuld, aber Flint wusste nicht, wie er das dem Jungen erklären sollte. Er wollte ihn nicht noch mehr ängstigen. Wenn Jasper derjenige war, den die Wygnin wollten, dann hatte einer seiner Eltern etwas falsch gemacht. Und wenn er es nicht war, dann würde alles, was Flint dem Jungen erzählen konnte, seine Furcht nur noch verschlimmern: die Furcht, die Wygnin könnten kommen, sollten seine Eltern irgendwann irgendwas falsch machen.
»Wir werden dafür sorgen, dass deine Schwestern in Sicherheit sind, wenn deine Eltern nicht zu Hause sind.« Das konnte Flint garantieren, vorausgesetzt, Jasper stammte von einem Ort, der zur Erdallianz gehörte. Während die Verhandlungen mit den Wygnin fortdauerten, konnten alle Kinder geschützt werden, auch wenn die Wygnin normalerweise nur die Erstgeborenen wollten.
»Versprochen?«, wisperte Jasper.
»Versprochen.« Flint hatte die Tür einen Spalt weit aufgestoßen. Er konnte es fühlen. Und er musste diesen Vorteil sofort nutzen. »Darf ich mir jetzt deinen Chip ansehen?«
Jasper atmete stockend durch und ließ Flints Arm los. Flint legte seine Hand auf die Schulter des Jungen. Er fühlte ein schwaches Klicken, ehe er die Informationen über seine Augäpfel laufen sah.
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