Miles Flint 03 - Die Tödlichen
Masse – Hirnmasse – und etwas Weißes, vermutlich Knochensplitter.
Sie hatte die Leichen bisher noch nicht in Augenschein genommen – die kamen stets zuletzt an die Reihe, weil sie alle anderen Spuren übertrumpfen mussten; daher wusste sie nicht, welches der Opfer eine klaffende Austrittswunde aufwies, sollte es tatsächlich eine geben.
Auf den Tischen waren diverse Gegenstände zu sehen. Ein paar Bronzeskulpturen, die ebenfalls erdbasiert zu sein schienen, nicht jedoch japanisch. Indianisch, dachte DeRicci, vorausgesetzt, sie lag nicht allzu weit daneben – und das könnte durchaus passieren, wenn sie bedachte, wie oberflächlich ihre Kenntnisse auf diesem Gebiet waren. Außerdem gab es eine Reihe Schachteln, darunter gleich mehrere Geschenkverpackungen und, was das Erstaunlichste war, Bücher.
Die Bücher waren dick und schwer, die Papierränder vom Alter vergilbt. DeRicci schaute um die Ecke und einen langen, schmalen Flur hinunter, der zu den übrigen Zimmern der Wohnung führte. Der ganze Gang war von Bücherregalen gesäumt. Die Bücher selbst sahen anders aus als alles, was DeRicci bisher zu Gesicht bekommen hatte. Sie waren dick; die Einbände hatten alle die gleiche Farbe, und auf den Rücken war jeweils eine goldene Inschrift zu sehen. Offenbar gehörten sie irgendwie zusammen.
DeRicci richtete ihre Aufmerksamkeit wieder aufs Wohnzimmer. Vier Bücher, eines auf jedem der vier Tische, und keine sichtbaren Monitore. Keine Holomatrizen, keine Überwachungsmonitore, nicht einmal Videobildschirme. Es war, als wäre dieser ganze Raum nie mit moderner Technik in Berührung gekommen.
Der Gedanke bereitete ihr Unbehagen, auch wenn sie nicht recht wusste, warum. DeRicci hatte von Leuten gehört, die so lebten, und sie hatte Videotouren durch Retrohäuser gemacht, deren Bewohner auf den primitiven präcomputerisierten Lebensstil zurückgekommen waren; aber sie hatte eine solche Umgebung noch nie aus der Nähe gesehen.
Später würde sie herausfinden müssen, ob ihre Vermutung zutraf. Sie wusste, dass eine Menge Leute Pseudoretromöbel mit eingebauten, aber versteckten technischen Spielereien kauften. Sie mochte eine Menge über die Opfer erfahren, wenn sie herausfand, ob sie sich zu einem echten Retroleben entschlossen hatten oder ob sie nur vorgegeben hatten, so zu leben.
DeRicci schloss erneut die Augen, doch dieses Mal nicht, um sich zur Ruhe zu ermahnen, sondern um sich auf ihre anderen Sinne zu konzentrieren. Die Gerüche, die sie bei ihrem Eintreten wahrgenommen hatte – Blut, Fäkalien, Verwesung –, waren noch immer da, noch immer präsent, aber nicht mehr so machtvoll, weil sie sich inzwischen an sie gewöhnt hatte. DeRicci schnüffelte und hoffte, andere Aromen wahrzunehmen, solche, die nicht offensichtlich, vielleicht sogar ungewöhnlich waren.
Sie erhaschte einen bitteren Hauch wie Rauch oder verbranntes Essen und den Geruch von versengtem Haar. DeRicci atmete tief durch und versuchte, die einzelnen Geruchseindrücke voneinander zu trennen. Ihr Link hätte ihr das abnehmen können – sie hatte mit ihrer Beförderung einige höchst kostspielige Gerätschaften erhalten –, aber sie zog es vor, auf ihn zu verzichten. Sie wollte die Informationen selbst herausarbeiten.
Beißender Rauch, versengtes Haar und Parfüm – schwach, aber nur im Zusammenhang mit den anderen übermächtigen Gerüchen. Das Parfüm besaß ein volles, moschusartiges Aroma und schien irgendwie zum Raum zu gehören. DeRicci nahm an, dass der Duft an Dominanz gewinnen würde, sollte sie tiefer in die Wohnung vordringen.
In der Wohnung war es erstaunlich still. Zwei Fenster auf der anderen Seite des Zimmers führten auf die Straße hinaus, und dennoch hörte DeRicci keine Verkehrsgeräusche, keine Gespräche. Natürlich unterlag diese Straße strengeren Bestimmungen als andere – das hatte sie bereits erkannt, ehe sie ihren Wagen geparkt hatte; dennoch sollte sie imstande sein, Sirenen zu hören, Hupen oder andere Alltagsgeräusche, wie sie in Armstrong üblich waren, zudem verstärkt durch die große Höhe. Die Laute hallten von der Kuppel zurück.
Aber hier war nichts zu hören. DeRicci konnte nicht einmal die Gespräche wahrnehmen, die Cabrera und sein Team vor der Tür halten mussten, und sie hätte wetten können, dass diese Leute die Tür nicht ganz geschlossen hatten. Vielleicht hatten sie deswegen alle so überrascht auf ihr Auftauchen reagiert.
Die Wohnung war schallisoliert.
Wie überaus seltsam. Außerhalb
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