Miles Flint 05 - Paloma
Gedanke daran, sich selbst so zu demütigen, bereitete ihr Magenschmerzen.
Sie konnte ihre eigenen Sendungen produzieren, konnte ohne den Vorzug der Beziehungen von InterDome Storys zusammenstellen und über die öffentlich zugänglichen Bereiche der Nachrichtenlinks ausstrahlen. Sie konnte ihre Sendungen persönlich gestalten oder geschwätzig, konnte riskantere Themen aufgreifen, als InterDome es ihr je genehmigt hätte.
Aber sie – und einige ihrer Fans – würden wissen, dass das einer Niederlage gleichkam. Dass sie es nur tat, weil sie nicht länger auf einer mondumfassenden Ebene agieren konnte. Ihre Geschichten würden lediglich Armstrong erreichen und auch hier nur einen begrenzten Teil der Leute. Und sie würde sich auf Mund-zu-Mund-Propaganda verlassen müssen, um überhaupt irgendeinen Erfolg zu erzielen.
Sie nippte an dem Wasser. Es war kalt und erfrischend. Mondwasser schmeckte eher schal, beinahe metallisch, was vermutlich an der ständigen Wiederaufbereitung lag. Wahrscheinlich war es gesünder als das Zeug, das von der Erde importiert wurde – wer wusste schon, welche Keime darin steckten? –, und es war eindeutig preiswerter, aber es hatte eben nicht den Geschmack des Erdenwassers.
Sie schwenkte die Flasche, erstaunt, wie viele Gedanken sie sich über das Wasser machte.
Sie würde ihre Eltern wissen lassen müssen, dass sie gefeuert worden war. Sie pflegten die allianzweiten InterDome-Sendungen stets in der Hoffnung zu verfolgen, sie bekämen vielleicht einen Bericht zu sehen, den ihre Tochter gemacht hatte. Das Letzte, was sie wollte, war, dass ihre Eltern vom Ende ihrer Karriere erfuhren, lange bevor sie ihnen davon erzählte.
Es gab nur ein paar Dinge zu tun – mit ihren Eltern reden, einen Plan ausarbeiten –, und schon fühlte sie sich überlastet.
Sie nahm an, dass sie mit ihrem Anwalt sprechen könnte, um herauszufinden, ob InterDome überhaupt das Recht hatte, ihren Vertrag einseitig aufzulösen, umso mehr, da sie sich kooperationsbereit gezeigt hatte.
Aber sie hatte Jammerlappen stets verabscheut, Leute, die lieber klagten, als nach Lösungen zu suchen. Außerdem würde ein Gerichtsverfahren sie mit Haut und Haaren verschlingen, würde sie zwingen, sich weiterhin auf vergangene Ungerechtigkeiten zu konzentrieren, statt sich um ihre Zukunft zu kümmern.
Und sie fürchtete sich, eine Ironie in sich, vor der Publicity. Wenn sie gegen InterDome antrat, würden die Klatschsparten die Geschichte aufgreifen, als ginge es um die Vernichtung der Medien von Armstrong. Sie würde sich ehemaligen Kollegen stellen müssen, würde ihnen sagen müssen, sie sollten sie in Ruhe lassen, oder vorgeben, sie vertraue ihnen, um sie für ihre Zwecke zu manipulieren.
Ihr Name wäre in sämtlichen Nachrichten, aber sie selbst wäre der Aufhänger, nicht die Berichterstatterin.
Auch das überstieg ihre Kräfte.
Sie lehnte die Flasche an die Armlehne und schloss die Augen. Vielleicht sollte sie Flints Beispiel folgen. Vielleicht sollte sie sich einen ganz neuen Beruf suchen. Sie war nie zur Journalistin ausgebildet worden. Sie war Kunsthistorikerin.
Überall im Sonnensystem gab es Museen, die Bedarf an Experten für multikulturelle Kunst hatten. Sie könnte eine Laufbahn wieder aufnehmen, die sie einst hatte fallen lassen.
Aber sie hatte sie nicht ohne Grund fallen lassen. Es war ihr wie eine Vergeudung vorgekommen, ihr Leben damit zu verbringen, die Kunst anderer Leute zu verwalten, selbst dann, wenn es um die meist beachteten Kunstwerke diverser Kulturen ging. Sie wollte etwas Eigenes schaffen. Sie hatte keine künstlerische Begabung – sie konnte nicht zeichnen, malen oder bildhauern –, aber sie konnte Geschichten erzählen, und sie liebte es, genau das zu tun.
Die Wiederaufnahme einer Laufbahn als Kunsthistorikerin war nicht das Richtige für sie.
Andererseits konnte sie den eingeschlagenen Weg woanders fortsetzen. Sie konnte sich mit ihren Qualifikationsnachweisen in die äußeren Bezirke des Sonnensystems begeben, vielleicht in noch weiter entferntes, menschlich besiedeltes Territorium vorstoßen, und von dort aus berichten. Nicht als Verbindungsperson für InterDome oder irgendein anderes mondbasiertes Medienunternehmen, sondern als Reporterin für die örtlichen Medienunternehmen, an welchem Ort auch immer sie landen würde.
Sie könnte ihnen erzählen, sie hätte eine Veränderung gebraucht oder sie hätte eine richtige Reporterin werden wollen, eine, die die gefährlichen Teile der
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