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Milliardengrab (German Edition)

Milliardengrab (German Edition)

Titel: Milliardengrab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Strassegger
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später wusste Patry, dass die Kanzleichefin des Notars
mit ihrer Vermutung richtig lag. Der Mann mit der Karte des Notars am
Bankautomaten war mit Sicherheit nicht der Notar. Der Kommissar kannte den
Maître flüchtig. Der war klein und der Mann am Automaten ein Riese, das allein
reichte. Wer dieser ominöse Riese war, war nach einer Auswertung des Bandes nur
schemenhaft zu erkennen. Jetzt hatte Madame den Kommissar überzeugt.
    Zurück
in der Dienststelle setzte der Kommissar den Fall auf die Dringlichkeitsliste.
Die Haushälterin wurde von einer Polizeistreife abgeholt und die Villa des
Notars nach etwaigen Auffälligkeiten oder möglichen Hinweisen durchsucht. Doch
nichts von Belang wurde gefunden. Nur eines fiel der Haushälterin auf: Die
Aktentasche des Notars fehlte. Die hatte er nach Bern mitgenommen, das wusste
die Frau sicher. Ein Indiz, wonach der Notar seine Villa nicht mehr betreten
hatte. Diese Aktentasche war auch nicht im Büro des Juristen. Sie blieb
verschollen, ebenso wie das Ehepaar.
    Die
Haushälterin sagte aus, dass sie sich von Madame Bouvery gegen Mittag
verabschiedet hatte. Als der Kommissar den Anrufbeantworter abhörte, stellte er
fest, dass ab halb drei niemand mehr im Haus gewesen war. Alle drei Anrufe, die
bis einundzwanzig Uhr eintrafen, waren nicht angenommen worden. Daraus schloss
Patry, dass die Frau des Notars am Nachmittag verschwunden war. Der Notar
hingegen, das war ermittelt, kam um zwanzig Uhr mit dem Zug in Genf an - ab
diesem Zeitpunkt verlor sich seine Spur. Der Kommissar setzte alle Hebel in Bewegung,
die ihm zur Verfügung standen. Allzu viel war bei einer Abgängigkeitsmeldung
nicht zu erwarten. Ein paar Fehlmeldungen und Wichtigtuer - ansonsten
Fehlanzeige. Die Spurensicherung ins Büro zu beordern war überflüssig,
mindestens hundert Menschen hatten sich inzwischen im Notariat aufgehalten.
Patry gab der speziell für diese Angelegenheiten zuständigen Abteilung im
Präsidium den Auftrag, das Videoband der Bank zu bearbeiten und den Mann, der
mit Bouvery’s EC-Karte am Automaten hantiert hatte, herauszuschälen. Das
Ergebnis war nicht berauschend, aber brauchbar. Das absonderliche Verschwinden
des Notars und seiner Frau beschäftigte den Kommissar jetzt zusehends. Er
stellte verschiedene Thesen auf, um sie gleich wieder zu verwerfen. Stundenlang
ging er zahllose Varianten durch - ein verwertbares Resultat erzielte er nicht.
    Ein
Anruf bei der Bank in Menton hatte leider auch keine weiteren Hinweise ergeben.
Der Bankautomat stand dort auf dem Bürgersteig und wurde von keiner
Video-Kamera überwacht. Entführung, Raubmord oder doch ein Unglücksfall? An
Letzteres glaubte der Kommissar nicht mehr. Was allerdings von dieser rätselhaften
Geschichte zu halten war, darüber herrschte weiterhin völlige Unklarheit,
sosehr er sein Gehirn auch drangsalierte. Was konnte man von einem Notar -
außer Geld - erpressen? Informationen? Dokumente? Vielleicht eine letztwillige
Verfügung, die dort hinterlegt war?

 
    Wien
/ Pressehaus, Juli 1991
    Der
Wochenspiegel leistete sich einen innenpolitischen Ressortleiter namens Urban
Eisenstein, ein Unikat, ohne Frage. Nicht wenige im Haus behaupteten, dass
selbst Herausgeber und Chefredakteur vor ihm zu Kreuze krochen. Er quittierte
diese Gerüchte mit der Bemerkung: »Mir ist egal, wer unter mir regiert!« Häufig
bemühte Eisenstein den Herrn, um seine Worte zu bekräftigen. Selten seine
Mutter, von der einige behaupten, eine solche habe nie existiert und die
Großmutter habe er vermutlich verkauft, wie ein Kollege liebenswürdig ergänzte.
Urban Eisenstein - im Haus verächtlich-liebevoll Blunzn genannt - saß hinter
seinem überladenen Schreibtisch und verzog sein Gesicht skeptisch. Seine gut
130 Kilo verteilten sich gleichmäßig auf eine bescheidene Körpergröße. Er wog
den Kopf bedächtig hin und her, wobei sein gut eingewachsenes Doppelkinn mit
schwabbelte. Die filterlose Gitanes im linken Mundwinkel war, wie meist, erloschen.
Seine länger zurückliegende Karriere als Ringer war an den kraftvollen
Schultern noch erkennbar. Die Rechte kratzte an den unübersehbaren Bartstoppeln
herum. Eisenstein war zwar jüdischer Provenienz,
scherte sich aber keinen Deut um diesbezügliche Sitten und Gebräuche, erst
recht nicht um koschere Speisevorschriften. Mit Talmud und Bibel war er
trotzdem vertraut. Sein allgegenwärtiger Geiz war ebenso Legende wie der Hang
Menschen beizustehen, die in Schwierigkeiten waren. Zyniker behaupten, dass

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