Millie an der Nordsee
grün, graugrün, aber das Gras ist feucht und die Schafe sehen traurig aus. Keines hat sich hingelegt und mümmelt vorsich hin, wie Millie es schon oft gesehen hat. Sie haben wohl Angst, sich den Schafspopo nass zu machen. Alle möchten am liebsten ganz oben auf der Deichkrone laufen. Das kann Millie verstehen. Wenn Schafe dafür gemacht wären, auf dem Abhang zu laufen, dann hätten sie ja zwei lange und zwei kurze Beine. Aber so schräg … da stehen sie sich ja die Beine in den Bauch .
Bevor Huh-Summ-Summ auftaucht, fahren sie an unzähligen Windrädern vorbei. Riesig sind die und ihre Propeller schaufeln sich hoch oben kräftig durch die Luft.
»Mit den Windrädern wird Energie erzeugt«, sagt Papa. »Strom, Millie.«
Klar. Wenn der Wind hier oben bei den Nordfiesen so gerne sein Unwesen treibt , dann soll er auch tüchtig für sie arbeiten.
Und plötzlich reißt die Wolkendecke auf. Ein Sonnenstrahl hat sich durchgezwängt und lässt die Propellerblätter der Windräder silbern aufleuchten. Sie tanzen jetzt ein Windmühlenballett, schrumm, schrumm, schrumm.
Und da liegt auch schon Huh-Summ-Summ.
»Husum«, sagt Papa. »Die graue Stadt am Meer.«
Husum! Na gut. Aber Papa! Die Stadt ist gar nicht grau. Die Sonne scheint wieder. Sie hat alle Wolken vertrieben. Schau mal, wie die abhauen. Wie erschreckte Schäfchen.
Huh-Summ-Summ ist bunt! Die Häuser glänzen in allen Farben, in Gelb und Rot und Weiß und Blau und Grün. Und die Krabbenboote im Hafen sehen auch malerisch aus. Die Fischer sind gerade vom Fang zurückgekehrt.
»Vielleicht kann man frische Krabben kaufen«, sagt Mama. Ihr läuft schon das Wasser im Mund zusammen.
Was? Will Mama diese roten Meereswürmer, die da in der Kiste liegen, wirklich essen? Die werden doch noch in ihrem Magen herumkribbelkrabbeln.
Mama lässt sich nicht beirren. »Millie, das sind keine Würmer. Sie werden gleich an Bord gekocht. Deswegen sind sie rot. Man nennt sie Krabben, obwohl es eigentlich Garnelen sind. Und sie schmecken köstlich!«
Nee, danke schön, auf Wiedersehn.
Mama kauft aber eine Tüte voller Krabben. Millie kann gar nicht hinsehen. Nur ein bisschen von der Seite.
Die Würmer sind ja noch angezogen! Kopf und Schwanz stecken in einer Ritterrüstung. Damit wollten sie sich wohl schützen. Hat aber nichts genützt. Die großen Netze sind gekommen und haben sie vom Meeresgrundaufgefischt. Und jetzt ist Mama da und macht ihnen endgültig den Garaus .
Erbarmungslos packt sie Kopf und Schwanz, dreht etwas, knack, dann zieht sie – und jetzt kommt der nackte rosafarbene Wurm zum Vorschein.
Iii, ist das eklig.
Mama steckt sich den Wurm doch tatsächlich in den Mund.
Trudel hat ihr andächtig zugeschaut, nun sperrt sie ihr Mündchen auf. Wenn Mama Würmer essen kann, dann will die kleine Schwester das ebenfalls tun.
»Hmmm«, sagt sie.
Wie kann sie nur! Millie wird Trudel heute kein Küsschen mehr geben.
Papa ist auch nicht für die Kribbelkrabben zu begeistern. Ihm geht was anderes durch den Kopf.
»Ist Husum nicht die Stadt von Theodor Storm?«, fragt er und kratzt sich hinterm Ohr.
»Genau«, bestätigt Mama. »Er hat Husum als die graue Stadt am Meer bezeichnet.«
Ach, dann hat sich Papa das gar nicht ausgedacht. Dieser Theodor muss allerdings farbenblind gewesen sein. Oder er ist nur in der Dämmerung aus dem Haus gegangen.
In der ganzen Stadt wimmelt es von Theodor. Hat demdas alles gehört: das Theodor-Café, das Theodor-Hotel, die Theodor-Schule, das Theodor-Haus und sogar die Theodor-Apotheke?
»Nee«, sagt Mama. »Man hat das alles nur nach Theodor Storm benannt. Er hat hier gelebt und ist ein berühmter Dichter gewesen.«
»Sag mal eins«, bittet Millie.
»Was?«
»Ein Gedicht.«
Mama kratzt sich hinterm Ohr. Dann beginnt sie aber:
Laterne, Laterne!
Sonne, Mond und Sterne,
Die doch sonst am Himmel stehn,
Lassen heut sich nimmer sehn;
Zwischen Wasserreih und Schloss
Ist die Finsternis so groß,
Gegen Löwen rennt man an,
Die man nicht erkennen kann!
Klasse, Mama! Du hast gut in der Schule aufgepasst!
»Storm hat auch die Geschichte von Pole Poppenspäler geschrieben«, sagt sie, während sie in einem Huh-Summ-Summ-Büchlein blättert.
»Was suchst du?«, will Papa wissen.
»Na, das Poppenspäler Museum. Das wäre doch was für die Kinder.«
Poppenspäler? Das hört sich an wie Puppenspieler, nur auf Platt. Und Millie hat sogar recht. Mama führt die Familie durch die Gassen von Husum zum Museum. Ein ums andere Mal stolpert
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