Millionär
Schlupfnoppen?«
Unfassbar, wie sie bei dem Tempo auch noch reden kann!
»Drehen sich deine Schuhe?«, keuche ich.
»Eher nicht .«
»Dann sind keine drin!«
»Schade!«
Natürlich joggen wir nicht einfach so, wie das normale Menschen tun, das hätte ich vielleicht noch überlebt, wir machen ein spezielles, von Johannas Personal-Trainer entwickeltes Ausdauer-Lauftraining.
»So ein PT ist schon Welt!«, schwärmt sie, als wir ein rauchendes Pärchen mit Bierflasche passieren, an dem mein neidischer Blick förmlich kleben bleibt.
»Und was . genau hat uns . dein Welt-PT jetzt so . zusammengestellt?«, keuche ich.
»Okay. Pass auf. Wir traben jetzt noch kurz so wie jetzt, danach wechseln sich schnelle Etappen mit langsamen ab. Das Geile ist, dass du damit Ausdauer und Tempo gleichermaßen steigerst.«
Schön, denke ich mir noch, dass ich jetzt endlich mal Ausdauer und Tempo gleichermaßen steigere, da rieselt mir schon die erste Portion Blei in die Beine. Wir überqueren die Fußgängerbrücke des Parks und biegen nach rechts ab.
»Jetzt!«
»Was?«
»Die erste Tempoetappe. Vier Minuten. Dann Pause!«
Johanna und ich beschleunigen und schon nach wenigen Sekunden weiß ich, dass ich das nie im Leben vier Minuten durchhalte. Obwohl ich mich richtig anstrenge, kann ich kaum Schritt halten, ich puste und schnaube und mache sicher auch stilistisch nicht die beste Figur. Nach einer gefühlten Stunde ruft mir Johanna zu, dass wir schon die Hälfte der vier Minuten haben und ich bald wieder so langsam traben darf wie am Anfang. Doch in meiner rechten Seite spüre ich bereits einen stechenden Schmerz. »Alles okay mit dir, Simon?«
»Wieso?«, hechle ich, »was . was . soll denn sein?«
»Du bist krebsrot im Gesicht!«
»Alles okay. Ich ... werde immer rot beim Laufen.«
»Sicher?«
»Ja!«
»An der Abzweigung da vorne links?«
Ich hab keine Ahnung. Schließlich hab ich den Park noch nie gesehen in meinem Leben. Weil ich aber trotz meiner mangelnden Fitness ein echter Mann bin, sage ich:
»Genau. Links.«
Noch nie habe ich mich so auf das Ende von vier Minuten gefreut wie jetzt. Mein Kopf fühlt sich an wie eine rotglühende Ceranplatte und meinen Pulsschlag könnte man von Google Earth aus sehen. Mit starr nach vorne gerichtetem Blick trotte ich neben Johanna her und versuche meinen Tod noch ein paar Sekunden nach hinten zu schieben.
»Sicher, dass alles okay ist, Simon?«
»Alles . herrlich.«
»Supi. Biste bereit?«
»Bereit zu was?«
»Drei Minuten bei achtzig Prozent.«
Ich atme dreimal tief ein um Kraft für meinen Satz zu sammeln.
»Wann . wann wird das sein, nur so grob?«
»Jetzt!«
Scheiße! Das waren doch niemals vier Minuten Pause! Mit Betonbeinen stampfe ich hinter der bemerkenswert locker laufenden Johanna her. Zwei entgegenkommende SilberkopfSenioren mit Nordic-Walking-Stöcken starren mich an wie einen verunglückten Formel-1-Fahrer, der gerade brennend aus seinem Wagen steigt. Vielleicht haben sie dieses dreitastige Senioren-Notrufhandy dabei und holen Hilfe ... Die Sinne verschwimmen, es mischen sich Baumkronen, Waldweg und wirre Gedanken zu einem einzigen pulsierenden Brei. Einfach weiterlaufen, Simon, dein Körper kann weit mehr als du denkst! Wahnsinn! Ich schaffe auch diese Tempo-Etappe. Nur wenige Sekunden vor meinem sicheren Herztod vernehme ich Johannas »Okay!« und wir verfallen in einen leichten Trab. Wenn ich nur wüsste, warum ich noch lebe: Meine Lunge steht kurz vor der Explosion, mein Puls hämmert in Spechtgeschwindigkeit durch meinen ganzen Körper und meine Zunge ist fast so trocken wie das Croissant der am wenigsten schlechten Bäckerei in meinem Viertel. Lauf, Simon, lauf, motiviere ich mich selbst. Immer auf die Atmung achten und die Arme ziehen! Die Füße hoch! Den Schmerz ignorieren und die nagelneue Nachbarin anlächeln. Irgendwas musst du doch besser können als sie, wenn du schon keine Kohle hast. Es geht vorbei, es ist nicht mehr lang, du schaffst das. Nur noch zwei Sprints. Johannas Stimme reißt mich aus meinen Gedanken.
»Bereit für die zwei Minuten bei neunzig Prozent?«
Es ist mein Kopf, der nickt, nicht ich. Schade, viel lieber würde ich jetzt entweder kotzen oder verenden. Wär' eigentlich auch eine schöne Spielshow für Sat 1: Kotz oder stirb! Na ja, gibt's wahrscheinlich schon.
»Jetzt!«
Ich will beschleunigen, doch es geht nicht. Es ist wie in einem Albtraum, in dem man nicht von der Stelle kommt. Ich kämpfe und mache und tue und
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