Millionär
ritze ich mit einem Steinchen Stirb Hummertussi in eine Betonsäule. Nach weiteren fünf Minuten denke ich mir vor lauter Langeweile neue Dokus mit dem Themenfeld Tiefgarage aus: Unser erster gemeinsamer Stellplatz, Das große RTL-Promi-Parken und Park Dich schlau. Es ist fast halb eins, als ein weißer Jaguar um die Ecke geschossen kommt und kurz vor mir abbremst. Das Fenster gleitet nach unten und ein reichlich abgehetzter Leiter »Magazin« beugt sich heraus.
»Sorry Simon, aber die innere Kanalstraße ist zurzeit einspurig.«
»Echt, schon wieder?«
Auf dem Weg in die heiligen Hallen von Europas größtem Privatsender werde ich von Hagen gebrieft was mein weiteres Vorgehen anbelangt.
»Okay. Du gehst zur Anmeldung und sagst, dass du mit Florian Robert verabredet bist. Dann kriegst du einen Besucherausweis, mit dem du in die Kantine kommst. Am besten wir essen getrennt, dann stellt sich keiner irgendwelche Fragen.« »Okay!«
»Und? Hast du denn schon eine Idee, wie du den Kantinenbetreiber los wirst?«
»Also, ich fand die Erdnussallergie von der Ludowig gar nicht so schlecht. Ein kleines Salätchen mit Erdnusspulver kurz vor der Sendung .«
»Ja und dann?«
Ich ziehe einen Computer-Ausdruck aus der Jacke und lese vor:
»Atemnot, Gesichtsschwellung, Ödeme, Quaddeln an der Haut, Zungenbrennen und Bewusstlosigkeit.«
»Reden wir nochmal drüber.«
Wir treten ins Foyer und ich hole mir meinen Besucherausweis ab, den ich mir an die Jacke knipse. Dann passieren Hagen und ich einen uniformierten Security-Hansel und ein Sicherheitsdrehkreuz.
»Was meinst du denn, wie oft du hier aufschlagen musst?«, werde ich gefragt.
»Eine Woche könnte es schon dauern bei so vielen Mitarbeitern. Letztendlich muss ich ja jeden Einzelnen fragen, was er bereit ist abzudrücken für besseres Essen.«
Wir nähern uns dem Kantineneingang, durch den sich gerade zwei aufgeregte Redakteurinnen schnattern. Die Kantine ist kleiner als ich gedacht habe, dafür aber gut besucht. Tja ... ist halt mal nix anderes in der Nähe und in der Not frisst der Teufel ja bekanntlich Fliegen.
Hagen und ich trennen uns und während ich mit meinem hellen Plastiktablett in der Schlange der Essensausgabe stehe, staune ich über die Bandbreite der Auswahl-Gerichte: Es gibt Hähnchenbrust andalusisch, mit Knoblauch-Oliven-Paprikasauce und Tomatenreis, geschmorte Lammkeule mit Speckbohnen und
Rosmarinkartoffeln sowie, für Fleischfeinde, ein Welsfilet asiatisch auf exotischem Gemüse-Basmatireis. Auf den ersten Blick sieht das alles nicht schlecht aus, aber vermutlich besteht der heimtückische Trick gerade darin, dem ausgehungerten Privatfernseh-Proletariat minderwertige Lebensmittel optisch tiptop zu präsentieren. Wer derart leckere Gerichte versaut, der gehört mit einem unbeschichteten Wok aus seiner Großküche geprügelt. Ich bin an der Reihe und entscheide mich für die Lammkeule. An der Salatbar hole ich mir noch ein Töpfchen Bio-Feldsalat, zu dem ich mir ein Dressing aus weißem Balsa-mico-Essig und griechischem Olivenöl mische. Ich bezahle und steuere einen großen Achtertisch an, an dem bereits zwei bebrillte IT-Nerds in zehn Jahre alten T-Shirts sitzen. Unfassbar, dass diese Zahlenfresser hier bei den richtigen Menschen essen dürfen.
»Mahlzeit!«
»Ja, guten!«
Man nickt mir ein wenig abfällig zu. Auch egal, ich will hier schließlich keine Freundschaften schließen, sondern Geld verdienen. Noch während ich meinen ersten Bissen Lammkeule vertilge, gerate ich ins Stutzen. Sie schmeckt nämlich ziemlich gut, was sage ich - fantastisch! Ein Ausrutscher der Küche? Eher nicht, denn leider sind auch die Speckbohnen ziemlich lecker und die Rosmarinkartoffeln knusprig und herrlich gewürzt. Ich lege vorerst das Besteck zur Seite und schaue ungläubig in Richtung Hagen, der ein paar Tische weiter alleine und mit mürrischer Miene in seinem Essen herumstochert. Als er meinen Blick bemerkt, deutet er aufs Essen, steckt sich symbolisch zwei Finger in den Mund und grinst. Ich zucke mit den Schultern und probiere den Salat. Leider auch gut.
Vielleicht habe ich mir ja durch meine Hartz IV TiefkühlkostDiät sämtliche Geschmacksnerven versaut. Vielleicht schmeckt das hier ja wirklich richtig schlecht und ich merke es nicht mehr, weil ich einfach zwei Jahre lang noch größeren Müll in mich reingeschmirgelt habe. Unauffällig betrachte ich die Mienen meiner unmittelbaren Sitznachbarn. Gute Laune oder zumindest angeregte Gespräche, wohin
Weitere Kostenlose Bücher