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Milner Donna

Milner Donna

Titel: Milner Donna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: River
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Familie also noch ein Tabuthema. Und die Stadt eine weitere pikante Geschichte, an der sie sich weiden konnte. Obwohl ich in einem Privatzimmer im stillgelegten dritten Stock versteckt gehalten wurde, wussten nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus alle, dass ich in St. Helena’s mehr zurückgelassen hatte als einen eitrigen Wurmfortsatz.
    Am nächsten Morgen lag ich in meinem Krankenhausbett und versuchte, nicht an das Baby zu denken, von dem die Nonnen gesagt hatten, es sei zu früh auf die Welt gekommen. Ich drückte auf meinen empfindlichen Unterleib und fühlte die ausgeleierten Bauchmuskeln. War dort während all dieser Monate tatsächlich Leben herangewachsen? Wie war es möglich, dass ich nichts davon bemerkt hatte? Ich versuchte, mich zu erinnern, wann meine Periode ausgesetzt hatte. Wie kam es, dass ich dem keine Bedeutung beigemessen hatte?
    Ich weigerte mich, dem Baby in der Vorstellung eine Gestalt zu geben. Ich würde ihm keinen Platz in meinem Herzen einräumen. Ich empfand nichts, redete ich mir ein, nichts, nur Erleichterung.
    Lautlos erschien eine Nonne mit einem Frühstückstablett. Wie auf Luftkissen glitt sie in mein Zimmer herein und wieder hinaus. Meine Mutter dagegen kam entschlossenen Schrittes.
    Ich erkannte sie schon daran, wie ihre Winterstiefel auf dem gefliesten Boden im Gang widerhallten. Sie hielt nur einen Moment inne, bevor sie meine Tür aufstieß und mit einem aufgesetzten Lächeln hereinstürmte.
    Eine mit Keksen gefüllte Tupperdose in der Hand, beugte sie sich über das Bett, um mir einen Kuss auf die Wange zu drücken. »Morgan und Carl lassen dich herzlich grüßen«, sagte sie. »Dad natürlich auch.«
    »Wissen sie Bescheid?«, fragte ich. »Weiß die ganze Stadt Bescheid?«
    »Niemand außer unserer Familie braucht irgendetwas anderes zu wissen, als dass dir der Blinddarm herausgenommen wurde«, sagte sie, während sie sich an meinem Bett zu schaffen machte. »Dr. Mumford wird sich darum kümmern. Alles, was du tun musst, ist, wieder auf die Beine zu kommen.« Sie plapperte so weiter, als würde ich mich tatsächlich nur von einer Blinddarmoperation erholen.
    Dann hob sie den Deckel von meinem Frühstückstablett. »Du hast was zum Essen gekriegt, mein Liebes«, bemerkte sie, als sie den unberührten Porridge und den Toast sah. Ich schob das Tablett von mir.
    »Gestern Nacht hat Ruth ihr Baby bekommen«, verkündete Mom. Mir fiel auf, dass sie nicht »auch« sagte.
    Jetzt erinnerte ich mich, dass jemand an mir vorbeigeschoben wurde, während ich in den Kreißsaal gerollt wurde. Ruth.
    »Ich vermute, sie wird bald nach Hause, auf die Queen Charlotte Islands, zurückkehren«, seufzte Mom. »Die Jungs werden sie vermissen. Vor allem Morgan. Ich glaube, ich schau mal schnell bei Our Lady vorbei und statte ihr auf dem Nachhauseweg einen Besuch ab.«
    Und erwähne auch ihr Baby mit keinem Wort, dachte ich bei mir.
    Dann wurde mir schlagartig bewusst, dass es bei meiner Mutter immer so gewesen ist: Sie wusste alles, redete aber über nichts. Dieses Ereignis in meinem Leben, in unser aller Leben, war nur ein weiteres Thema, das unter den Teppich gekehrt wurde. Wir würden alle wissen, dass es da war, aber alle sorgsam einen Bogen darum machen.
    Mom fragte nie, wer der Vater war. Und ich würde sie in dem Glauben lassen, dass die Geburt, die wir unterschlugen, die Folge jener Nacht war, in der sie mich aus Rivers Zimmer hatte kommen sehen. Sie mochte um dieses Kind trauern – ich konnte es nicht. Denn ich war mir sicher, dass der kleine Junge, der irgendwo tot in diesem Haus lag, Mr. Ryans Kind war.
    Die Tür zu meinem Krankenzimmer ging auf. Boyer streckte den Kopf herein. Er hatte Mom in die Stadt gefahren, damit er mich sehen konnte. Ich war überrascht. Abgesehen von der letzten Nacht hatte er seit seiner Rückkehr aus der Spezialklinik unser Haus nicht verlassen. Einen Augenblick überlegte ich, wie viel Überwindung es ihn gekostet haben musste, sich am helllichten Tag in der Stadt zu zeigen und das Glotzen der Neugierigen und der Taktlosen zu ertragen.
    Doch als er mich fragte: »Darf ich hereinkommen?«, zog ich meine Decke fester um mich und drehte mich zur anderen Seite.
    Als ich wieder zu Hause war, kapselte ich mich vollkommen ab. Durch die Gitter im Flur konnte ich hören, wie Mom Dad und meinen Brüdern darlegte, dass ich mich am Ende wieder fangen würde, aber ich fragte mich, wie ich jemals wieder einem von ihnen in die Augen sehen könnte.
    Von meinem Zimmer

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