Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Milner Donna

Milner Donna

Titel: Milner Donna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: River
Vom Netzwerk:
war ich keineswegs erhaben. Ich rächte mich auf die einzige Weise, die ich kannte. Ich nahm alles, was ich von Boyer lernte, und verwendete es, um mit den anderen in einen Wettbewerb einzutreten. Und ich besiegte sie. Ich besiegte sie bei jedem Buchstabierwettbewerb, bei jeder Klassenarbeit und mit jedem Zeugnis. Ich besiegte sie auch auf dem Spielplatz.
    Als ich neun Jahre alt war, übten Boyer und ich im Winter auf dem Boden seines Zimmers, mit Murmeln zu spielen. Im Frühling nahm ich meine violette Seagram’s-Samttasche, in der ein paar Murmeln herumkullerten, in die Schule mit. Jeden Nachmittag kehrte ich mit derselben Tasche zurück, dann aber war sie prall gefüllt. Die Mädchen hörten bald mit dem Spielen auf, aber die Jungs waren entschlossener. Sie verschoben die Schusslinien immer weiter nach hinten, was die Sache nur für sie schwieriger machte. Jeden Abend leerte ich meine Gewinne in Schachteln und hortete sie unter meinem Bett. Natürlich trugen diese Fertigkeiten nicht gerade dazu bei, meine Beliebtheit zu steigern.
    In der fünften Klasse erlebte ich eine kurze Pause von meinem Status als Klassenekel. Dank meiner Mutter. Sie kam am Elterntag in die Schule, um etwas auf dem Klavier zu spielen. Sie bahnte sich ihren Weg über die Bühne, als hätte man sie zu einer Galavorstellung eingeladen. Sie trug ihren Sonntagsstaat, einen blauen Regenmantel über ihrem besten Kleid und ein dosenähnliches Hütchen auf dem Kopf. Sie setzte sich ans Klavier und strahlte ins Publikum. Jedermann klatschte, als sie vorgestellt wurde. Bevor sie zu spielen anhob, nickte sie mir zu und formte stumm die Worte: »Hallo, mein Liebes.« Ich setzte mich ein wenig aufrechter hin. Jeder würde wissen, dass diese schöne Dame meine Mutter war.
    »Mensch«, hörte ich an diesem Tag immer wieder, »deine Mom ist wirklich hübsch.« Eine kleine Weile war ich nicht mehr »Nat, die Milchkuh«, sondern Natalie Ward, die Tochter der schönen Pianistin.
    Nicht einmal Elizabeth-Ann Ryan konnte umhin, die Schönheit meiner Mutter zu kommentieren. »Deine Mom sieht aus wie Jacqueline Kennedy in Blond«, sagte sie zu mir, als wir ein paar Tage später vom Wasserspender tranken. Ich richtete mich auf und wischte mir das Wasser vom Mund, doch bevor ich antworten konnte, schob sie nach: »Du musst adoptiert sein.«
    Es dauerte einen Augenblick, bis mir klar war, was sie mit diesen Worten ausgedrückt hatte.
    Wenn ich zurückblicke, sehe ich ein, dass ich an meiner Isoliertheit in der Grundschule zum großen Teil selbst schuld war. Ich tat nichts, um Freundinnen zu gewinnen. Entweder konkurrierte ich mit den anderen Mädchen, oder ich ignorierte sie. Die Spiele, die sie spielten, Seilspringen, Himmel und Hölle sowie die Barbiepuppenphantasien, interessierten mich nicht. Ich sagte mir, dass sie nicht wichtig seien. Ich hatte ja Boyer, unsere Wortspiele und die Bücher. Als Boyer achtzehn und unser Schulbusfahrer wurde, gewöhnte ich mir an, direkt hinter ihm zu sitzen, während die anderen Mädchen neiderfüllt zusahen, wie sich mein gut aussehender Bruder mit mir unterhielt und seine Augen mir im Rückspiegel zulächelten.
    Dank Boyer ging es für mich in der Schule nur darum, Wissen aufzusaugen, damit ich nach Hause gehen und ihn beeindrucken konnte. Als ich in die sechste Klasse kam, war ich bereits ein »Liebling« der Lehrerinnen, der vom Rest der Klasse gemieden wurde. Ich hatte keine Freundinnen, wusste nicht, wie man Freundschaften schloss, und zumindest tat ich so, als wäre es mir egal. Bis ich es selbst nicht mehr glaubte.
    Und als Elizabeth-Ann – das bei Weitem hübscheste und beliebteste Mädchen in der Schule – einmal, als wir schon in der Highschool waren, zu mir kam und sagte: »Möchtest du am Samstagabend zu mir kommen und bei mir übernachten?«, hatte ich keine Ahnung, was ich antworten sollte.
    Im Laufe des Sommers hatte sich etwas verändert. Meine langen Haare waren immer noch zurückgekämmt und zu Zöpfen geflochten. Ich trug auch dieselben Kleider wie im Jahr davor, doch das Gehänsel hatte aufgehört. Die Mädchen, die in jenem September in die siebte Klasse kamen, sahen anders aus als die Mädchen, die ein paar Monate zuvor die Grundschule verlassen hatten, und sie benahmen sich auch anders. Barbiepuppen und Springseile waren vergessen. Toupierte Haare und Nylonstrümpfe hatten Zöpfe und Kindersöckchen verdrängt.
    Die Mädchen hatten die Jungs entdeckt. Genauer gesagt, sie hatten meine Brüder entdeckt.

Weitere Kostenlose Bücher