Milner Donna
Morgan und Carl waren jetzt beide in der achten Klasse und so unzertrennlich wie eh und je. Mom schwor, dass Morgan mit Absicht in der sechsten Klasse sitzen geblieben war, damit er nicht zwei Jahre vor Carl in die Highschool überwechseln musste. Es war nicht schwer herauszufinden, dass sie der Grund für meine plötzliche Popularität waren.
»Alle kommen um acht«, sagte Elizabeth-Ann und schenkte mir ein Lächeln, das besagte, wie dankbar ich für diese Einladung sein sollte.
»Warum?«, fragte ich, weil ich mir nicht sicher war, in welche Art von Spaß das münden würde.
»Warum was?«
»Warum sollte ich bei dir übernachten wollen?«
»Es ist eine Pyjamaparty«, antwortete sie mit zuckersüßer Stimme, als hätte sie mich von Anfang an mit eingeplant und könnte mein Zögern nicht verstehen. Sie nannte die Namen einiger anderer Mädchen, die kommen würden. »Na los, nun mach schon! Es wird ein Riesenspaß.«
»Ich überleg’s mir«, sagte ich, bevor ich zum Schulbus hinüberging.
Bis auf die Nichte der Witwe Beckett aus Vancouver, Judy Beckett, die ihre Tante jeden Sommer besuchen kam, hatte ich niemanden, den ich wirklich als Freundin hätte bezeichnen können. Und auch Judy kam nur tagsüber auf die Farm. Ich war noch nie über Nacht außer Haus gewesen, hatte niemals irgendwo anders als in meinem eigenen Bett geschlafen.
»Wieso, Natalie, das ist doch nett«, meinte meine Mutter, als ich ihr am Abend beim Tischdecken von der Einladung berichtete. »Pyjamapartys können lustig sein.«
»Was machen die denn da?«, fragte ich und versuchte, desinteressiert zu klingen. »Werden da alberne Spiele gespielt?«
»Schon möglich«, lächelte Mom. »Obwohl sie wahrscheinlich mehr Zeit damit verbringen, über Jungs zu reden, wenn diese Partys noch denen ähneln, die ich als Teenager mitgemacht habe.«
»Du bist auf Pyjamapartys gegangen?«
»Natürlich. Ich bin ja schließlich auch mal jung gewesen.«
»Bist du immer noch«, rief Dad von der Veranda her, wo er gerade seinen Stallmantel aufhängte.
Ich ging also hin. Ich war nervös, aber insgeheim neugierig.
Boyer fuhr mich am Samstagabend in die Stadt. Er blieb vor dem Haus der Ryans in der Colbur Street stehen. »Mach ein fröhliches Gesicht«, sagte er, als er die Lastwagentür öffnete. »Du siehst ja aus, als würdest du zu einer Totenwache gehen und nicht zu einer Party!«
Ich zuckte mit den Achseln. »Wahrscheinlich ist es genauso langweilig.« Ich packte mein Kopfkissen und die Stofftasche, die mein Flanellnachthemd und meine Zahnbürste enthielt.
»Für den Fall hoffe ich, dass du ein Buch in deinem Beutel hast.«
Ich stöhnte. Boyer hatte mir vor langer Zeit beigebracht, immer ein Buch mitzunehmen, wohin ich auch ging. In den hektischen Vorbereitungen auf meine erste Nacht außer Haus hatte ich vergessen, eines einzupacken. Boyer griff in seine Jacke und zog ein zerlesenes Taschenbuch heraus. »Hier, nimm das«, sagte er. »Ich glaube, du bist jetzt so weit.« Er zwinkerte mir zu, während er mir den Fänger im Roggen überreichte.
Ich verstaute das Buch in meiner Tasche, beugte mich vor und gab Boyer einen Abschiedskuss.
Mrs. Ryan öffnete mir die Tür. Wie immer sah sie so aus, als wäre sie auf dem Weg zu einer Cocktailparty. Ihr Angorapullover, ihr Tweedrock und ihre Stöckelschuhe bildeten einen unüberbrückbaren Gegensatz zu den Schürzen meiner Mutter, die sie über ihre gemusterten Baumwollkleider band.
»Hallo«, sagte sie. »Du bist Natalie, nicht wahr?« Sie winkte mich in einen Vorraum, der so groß war wie unsere ganze Küche.
Ich nickte.
»Die Mädchen sind oben«, lächelte sie und deutete in Richtung Treppenhaus. Sie duftete wie eine Wolke aus Parfüm und Haarspray.
»Danke sehr, Mrs. Ryan«, sagte ich und ging auf die Treppe zu.
Während ich den Vorraum durchquerte, hörte ich Eis gegen Glas klirren. »Na, wenn das mal nicht das hübsche kleine Milchmädchen ist«, rief Elizabeth-Anns Vater aus dem Wohnzimmer heraus.
Gerald Ryan, der Besitzer von Handy Hardware, war der Bürgermeister von Atwood. Von ihm das Milchmädchen genannt zu werden klang irgendwie anders, als wenn mein Vater es sagte.
Unwillkürlich stieg ein fast vergessenes Bild vor meinem inneren Auge auf. Ein Bild aus der Zeit, als ich vor Jahren anfing, Dad beim Ausliefern der Milch zu helfen. Als ich einmal am frühen Morgen Milchflaschen auf seiner Veranda abstellte, warf ich einen Blick nach unten und sah Mr. Ryan am Kellerfenster stehen.
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