Milner Donna
Körper zu schauen, aber ich konnte nicht anders. Das Zimmer wurde zu einem einzigen Wirbel aus Babydolls, Bikinihöschen und Büstenhaltern. Büstenhalter! Die Einzige in diesem Zimmer, die wirklich einen Büstenhalter brauchte, war ich. Darüber hatte ich mir bis zu diesem Moment noch gar keine Gedanken gemacht. Während die anderen Mädchen ihre Kleider durch die Gegend warfen, drehte ich mich um, zog mich bis auf meinen Baumwollschlüpfer und das Unterhemd aus und zerrte mir rasch das Nachthemd über den Kopf.
»Oho, eine Großmamarobe«, sagte Elizabeth-Ann. »Du siehst entzückend aus.« Es klang aufrichtig, aber konnte ich sicher sein?
Das Gekicher und Geschnatter setzte sich bis in die Nacht hinein fort. Einmal rief Mrs. Ryan herauf: »Schluss jetzt, meine Damen! Lichter aus!«
Später meldete sich Mr. Ryan lallend vom Fuß der Treppe: »Wenn ich da oben noch einmal Kichern höre, muss ich hinaufkommen und ein paar süße Popochen versohlen.«
Es gab mir einen Stich. Elizabeth-Ann stöhnte auf. Sie beugte sich herüber und machte das Licht aus. Viel später, als ich glaubte, dass alle schliefen, hörte ich sie im Dunkeln flüstern: »Natalie, hat Boyer eine Freundin?«
Boyer? Warum sollte sie sich nach Boyer erkundigen? Bis zu diesem Augenblick hatte ich ihn mir noch nie mit einer Freundin vorgestellt. Der Gedanke, dass jemand, der nicht zur Familie gehörte, Teil seines Lebens sein könnte, war mir noch nie gekommen.
»Nein, mein Bruder ist zu sehr mit seiner Arbeit und der Farm beschäftigt.« Meine Stimme klang besitzergreifend und eifersüchtig. Selbst ich konnte das hören. »Er hat keine Zeit für Mädchen.«
»Oh«, seufzte sie.
Und für dich wird er auch keine Zeit haben, dachte ich. Außerdem hat er ja uns.
Am nächsten Morgen zog ich mich an, noch bevor irgendjemand wach war. Ich stand oben auf der Treppe und lauschte, ehe ich hinunterschlich und aus dem Haus schlüpfte. Ich ging zur Straßenecke und setzte mich auf den Randstein. Ich zog mein Buch heraus und versuchte in dem schwachen Licht der Straßenlaterne zu lesen, während ich auf meinen Vater wartete. Als er endlich am Straßenrand hielt, stieß ich einen Seufzer der Erleichterung aus und sprang in den Milchtruck. Der angenehme Geruch nach Zigarettenrauch, Stall und Old Spice vermittelte mir ein Gefühl der Geborgenheit.
»Na, wie war die Party, mein Sonnenkind?«, fragte mein Vater und legte den Gang ein.
»Es war okay«, murmelte ich.
Ich erzählte ihm nicht, dass ich wach gelegen und auf die wütenden Stimmen unten und die seltsamen Geräusche in dem fremden Haus gelauscht hatte. Ich schwieg mich darüber aus, wie ich in meinem Schlafsack zusammengezuckt war und mich schlafend gestellt hatte, als mitten in der Nacht die Schlafzimmertür aufging und Mr. Ryan sich in das Zimmer schlich. Ich dachte, Elizabeth-Ann würde schlafen, bis ich sie zischen hörte: »Geh weg, Daddy.«
Ich erzählte meinem Vater nichts von der Angst, die ich ausstand, als Mr. Ryan sich aus dem Zimmer zurückzog und das Mondlicht auf den offenen Schlitz seiner Pyjamahose fiel.
Als mein Vater und ich an diesem Morgen mit der Milchauslieferung fertig waren, dämmerte es mir, wie dumm ich gewesen war, mich für ihn zu schämen, weil er nicht lesen konnte. Andere Väter hatten viel schlimmere Geheimnisse.
14
W ÄHREND JENER T EENAGERJAHRE drängten sich bei den Mahlzeiten oft Gäste um unseren Tisch. Jugendliche aus der Stadt. Freunde von Morgan und Carl. Sie waren alle bereit, Milcheimer zu schleppen, Kühe vor sich herzutreiben oder Heuballen aufzuladen, im Austausch gegen das Privileg, ihre Zeit »draußen auf der Ranch« verbringen zu dürfen. Sie tauchten regelmäßig an den Wochenenden und in den Sommerferien auf. Unser Tisch war manchmal so voll, dass Jake, solange er noch bei uns war, sich weigerte, sich zum Abendessen hinzusetzen. Er stahl sich dann in die Küche und blickte jeden, der auf seinem Platz am Ende des Tisches oder auch nur in der Nähe saß, missmutig an.
Seit ich die Highschool besuchte, war unser Haus plötzlich erfüllt vom Gezwitscher junger weiblicher Stimmen. Meine neu entdeckten Freundinnen. Sie schienen nie zu wissen, wann es Zeit war, nach Hause zu gehen, und strapazierten vor allem Dads Geduld gehörig.
Elizabeth-Ann war am häufigsten zu Besuch. Das erste Mal rief sie an und wisperte: »Natalie, mein Dad ist betrunken. Kann ich zu euch kommen?« Bald hörte sie auf zu fragen und stand einfach da, bisweilen sogar an
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