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Milner Donna

Milner Donna

Titel: Milner Donna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: River
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ordentlich über den Betonboden bewegte. Bald danach fing River an, mit Dad auch an den Wochenenden auf die Milchtour zu gehen.
    Der Grund interessierte mich nicht. Für mich bedeutete es auf jeden Fall eine Erleichterung. Nun brauchte ich mir keine Sorgen mehr zu machen, möglicherweise bei den Ryans die Milch abliefern zu müssen. Ich fragte mich, ob River jemals Mr. Ryan hinter dem Kellerfenster gesehen hatte. Ein Bild, an das ich mich, wie ich glaubte, seit Jahren erinnerte.
    Doch am Remembrance Day bat Dad mich, auf die Milchtour mitzukommen. Mom, Morgan und Carl würden später mit Boyer folgen und dann mit uns zusammen den Feierlichkeiten beiwohnen. Ich nahm meinen Mantel und ging hinter Dad nach draußen, aufgeregt bei dem Gedanken, gleich so dicht neben River zu sitzen.
    River wartete bei der Molkerei auf uns. Obwohl er uns gesagt hatte, es sei in den Staaten nicht mehr üblich, Mohnblüten zu tragen, steckte auf der linken Seite seiner Jacke eine rote Filzblume. Als wir beim Truck ankamen, sagte Dad: »Sie brauchen nicht mitzukommen, Richard. Heute hilft mir Natalie.«
    Ich spürte, wie eine kalte Dusche auf meine nervöse Erregung niederging.
    Dad öffnete die Tür. »Wir gehen hinterher alle zur Remembrance-Day-Feier«, sagte er. »Das dürfte Sie nicht interessieren.«
    River öffnete die Beifahrertür und forderte mich auf, vor ihm einzusteigen. »Nun, wenn es Ihnen nichts ausmacht, Sir«, sagte er, ohne auf Dads bissigen Ton einzugehen, »dann komme ich auf die Milchtour mit. Danach würde ich gern mit Ihnen allen an der Feier teilnehmen.«
    Mein Vater schwang sich auf seinen Sitz und brummelte vor sich hin: »Ganz schön abwegig für einen Pazifisten, was?«
    »Tja, das weiß ich nicht, Sir«, erwiderte River, »aber ist der Remembrance Day nicht dasselbe wie der Veterans Day bei uns zu Hause? Ist der Sinn nicht derselbe? An die Schrecken des Kriegs zu erinnern und seine Toten zu ehren? Ich habe mit meiner Mutter und mit meinem Großvater jedes Jahr sowohl die Feiern am Veterans Day als auch die am Memorial Day besucht.«
    »Wieso denn?«, ereiferte sich Dad. »Ich dachte, Sie wären gegen den Krieg.«
    River zog die Trucktür zu. Ich spürte die Wärme seines Körpers, als er es sich auf dem Sitz neben mir bequem machte. »Ja, Sir«, antwortete er. »Das bin ich. Aber für mich geht es heute nicht um Protest.« Dann wurde seine Stimme noch leiser. »Es geht um meinen Vater und meinen Onkel, darum, ihrer zu gedenken. Sie sind beide in der Schlacht von Okinawa gefallen, drei Monate vor meiner Geburt.«
    Einen Augenblick herrschte Stille. Dann legte mein Vater den Gang ein.
    Es dauerte nicht lange, bis die kleine Prozession die Main Street von Atwood hinuntermarschiert war. An diesem Morgen, an dem es nach verbrannten Blättern roch und die frische Herbstluft Schnee verhieß, standen wir auf dem Gehsteig und sahen der schweigenden Parade auf ihrem Weg zum Soldatenehrenmal zu.
    Ein Häuflein alternder Veteranen in eng sitzenden Uniformen, denen der Geruch nach Mottenkugeln hinterherwehte, waren die Ersten. Sie marschierten in stoischem und stolzem Rhythmus und starrten auf irgendetwas, was diejenigen von uns, die am Straßenrand standen, nicht sehen konnten. Ein schottischer Dudelsackpfeifer, sein Instrument einsatzbereit im Arm, folgte – die Falten seines Kilts schaukelten im Takt des einsamen Trommlers hin und her. Dann bildeten die ernst dreinblickenden Kadetten das Schlusslicht. Sie schritten vorbei, langsam, feierlich und ehrfürchtig. An diesem Tag gab es keine Eile. Wenn sie das granitene Kriegerdenkmal am Ende der Main Street erreichten, würden die Toten ja immer noch tot sein.
    Ich sah zu River hinüber und dachte über seine Worte nach, über seinen Vater und seinen Onkel. Zum ersten Mal fühlte ich die Realität, die Traurigkeit dieses Ehrenmals für die gefallenen Soldaten.
    Nachdem die kleine Truppe vorübergezogen war, liefen diejenigen von uns, die bis dahin nur zugeschaut hatten, hinter ihr her. Die Frauen und Mütter von Soldaten, lebenden und toten, schlossen sich an. Dann folgte ihnen, wie jedes Jahr, mein Vater mit seinen drei Söhnen. Ehe Dad zu marschieren begann, sah ich, wie er sich umdrehte und River zuwinkte, dass er mit ihnen kommen solle. Mom und ich bildeten das Schlusslicht.
    Am Ende der Main Street versammelte sich die Menge um das drohend aufragende Monument zu Ehren der gefallenen Söhne von Atwood. Während der Zeremonie traten einige Frauen vor, darunter die Witwe

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