Milner Donna
Beckett, um an der Messingtafel mit den Namen der in beiden Weltkriegen Gefallenen Mohnblumenkränze abzulegen. Nach zwei Schweigeminuten knallten Schüsse durch die Luft. Sie hallten durch die Straßen, und das Echo prallte von den umliegenden Berggipfeln ab. Bevor jeder einzelne Schuss verhallte, zuckte mein Vater so heftig zusammen, als wäre er getroffen worden. Und zu seinen beiden Seiten zuckten Boyers und Rivers Schultern ebenfalls unwillkürlich zusammen.
Nach der Feier ging unsere Familie, wie jedes zweite Jahr, zur Atwooder Abteilung der Royal Canadian Legion, um mit den örtlichen Veteranen zu Mittag zu essen. Als wir die Straße hinunterschritten, entdeckte ich vorneweg Jake mit der Witwe Beckett an seiner Seite. Mein Vater rief, und sie blieben stehen und warteten. Es war das erste Mal, dass ich Jake wiedersah, seit er die Farm verlassen hatte. Ich musste zweimal hinsehen, so überrascht war ich festzustellen, dass er tatsächlich lächeln konnte.
Während Mom und die Witwe Beckett einander begrüßten und umarmten, schüttelte mein Vater Jake die Hand. »Soso, sieht so aus, als würde das Eheleben dir bekommen«, sagte Dad. Meine Brüder begrüßten Jake und schüttelten ihm die Hand. Dann deutete Dad auf River und sagte: »Jake, darf ich dir unseren neuen Helfer vorstellen, Rich… ähm, ich meine: River. River Jordan.«
Nach dem Mittagessen kletterte ich mit Dad und River ins Führerhaus des Milchtrucks. Die Tatsache, dass ich noch einmal so dicht neben River saß, versetzte mich erneut in elektrisierende Spannung. Während wir nach Hause fuhren, fiel mir auf, dass an die Sonnenblenden zwei Mohnblüten geheftet waren.
23
D IE S CHEINWERFERKEGEL BOHREN SICH durch die Dunkelheit und legen, als wir so in die Nacht eintauchen, eine Kerbe des weiß gesäumten Highways frei. Da draußen sind sie. Ich kann die Berge nicht sehen, aber ich fühle sie, während wir an den Gipfeln der zerklüfteten Cascades vorbeirasen.
Die Straßen sind passierbar; es hat noch nicht geschneit. Trotzdem bin ich mir sicher: Sollten die unsichtbaren Bergspitzen, die über uns aufragen, noch nicht weiß bestäubt sein, wird sich das bald ändern. Binnen Kurzem werden Schneemassen den Highway säumen, die sich höher auftürmen können als dieser Bus.
Als ich aufwuchs, war Schnee vier oder fünf Monate des Jahres eine Konstante in unserem Leben. In jedem Winter verwandelte sich unser Farmgelände in ein Labyrinth von Gräben zwischen dem Haus und den Nebengebäuden. Meistens musste Dad am Morgen den Hof zwischen dem Stall und der Molkerei mit dem Traktor räumen; die Pflugschaufel schob die Schneegebirge auf die vordere Weide.
In dem Jahr, als River kam, fiel ungewöhnlich viel Schnee.
»Mannomann, so viel Weiß auf einmal habe ich noch nie im Leben gesehen!«, rief River mir zu, als er nach dem ersten nächtlichen Sturm durch den frischen Pulverschnee stapfte.
»Ha! Warte nur ab!«, keuchte ich. Ich hob meine Schaufel hoch und warf eine Ladung Schnee vom Fußweg über meine Schulter.
»Komm, lass mich das für dich machen«, sagte er und streckte die Hand nach meiner Schaufel aus.
»Nein, diese Arbeit mache ich gern.« Ich stützte mich auf den Griff und nickte in Richtung Veranda. »Hol dir deine eigene«, lachte ich.
»Oh, eine Emanze«, grinste er. »Wie schön für dich.«
Dicke Flocken fielen auf seine Wollmütze und seine Schultern. Er streckte die Hand aus und wischte mir mit seinem wollenen Fausthandschuh das Gesicht ab. Selbst in der Kälte spürte ich, wie die Röte in mir aufstieg. Ich senkte den Kopf und stieß meine Schaufel in den Schnee, während River sich umdrehte und die Verandastufen hinaufsprang. Genauso schnell war er wieder zurück. Wir arbeiteten nebeneinander auf dem Weg, während der Schnee immer heftiger fiel und unsere Fortschritte zunichte machte.
Inzwischen konnte ich mir mein Leben oder meine Familie ohne River nicht mehr vorstellen. Ich sah ihn fast täglich, und mit Ausnahme jener Tage, an denen er sich seinem Saftfasten unterzog – um, wie er sagte, »Körper und Seele zu reinigen« –, teilte er die meisten Mahlzeiten mit uns.
Als wir am Tor angelangt waren, blickte River die Straße hinunter. »Gut, dass der Milchtruck Allradantrieb hat«, überlegte er laut. »Sonst müssten wir jetzt die Pferde anspannen, um in die Stadt zu kommen.«
»Es ist noch gar nicht so lange her, dass wir genau das getan haben«, antwortete Dad von der Veranda aus. »Und manchmal machen wir das
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