Milner Donna
gehören Rivers Familie«, sagte er und streckte die Hand nach ihnen aus. Als ich sie ihm gab, sagte er ruhig: »Komm, ich fahre dich zum Haus zurück.«
Früher hätte ich geantwortet, dass ich zu Fuß gehen könne, dass ich mich nicht vor der Dunkelheit fürchtete, und er hätte mich gewähren lassen. Aber nicht in dieser Nacht. Wir fuhren die kurze Strecke schweigend und dachten bestimmt an völlig unterschiedliche Gefahren, die in der Nacht lauerten.
»Bist du dir sicher, dass wir diese Tagebücher Rivers Mutter geben sollten?«, fragte ich, bevor ich aus seinem Auto stieg. Meine Zunge fühlte sich taub an, während ich weiter faselte: »Ich meine, glaubst du, er würde wollen, dass sie sie liest? All das … erfährt, all das … weiß?«
»Seine Mutter weiß Bescheid«, seufzte Boyer. »Eine Mutter weiß immer Bescheid.«
37
I N DIESER N ACHT retteten Moms nächtliche Wanderungen Boyer das Leben. Sie roch es als Erste. Ein Hauch von Qualm schwebte über das Luzernenfeld hinter unserem Haus durch ein offenes Fenster in den Wintergarten. Ihre empfindliche Nase schnupperte in die Richtung, aus der die Nachtbrise ihn hergeweht hatte. Sie blickte in die dunkle Fensterscheibe und an ihrem Spiegelbild vorbei. Über den Bäumen, hinter dem Feld, sah sie, wie sich ihre unheilvolle Angst vor Feuer in dem rötlichen Schein am Himmel bestätigte.
Ich wurde aus meinem dumpfen Schlaf gerissen, als ich ihre Schreie durch das Haus gellen hörte: »Gus! Gus! Steh auf! Es brennt! Oh Gott! Beeil dich! Schnell! Boyers Hütte brennt!«
Ich sprang aus dem Bett und hörte schon, wie Morgan und Carl auf den Flur stürzten und die Treppe zur Küche hinunterdonnerten. Ich rannte ihnen im Nachthemd hinterher. Durch das Küchenfenster sah ich meinen Vater in seinen Longjohns über den Hof zum Geräteschuppen rennen.
Ich stolperte barfuß aus der Küche und die Verandastufen hinunter. Meine zitternden Finger fummelten am Torriegel herum. Ich schob ihn gewaltsam zurück und jagte die Straße hinauf zu Boyers Hütte. Weiter oben rannte Mom vor mir an unserem hinteren Feld entlang, ihr Morgenmantel flatterte, Morgan und Carl waren ihr dicht auf den Fersen. Als ich mit dem Fuß gegen eine Wurzel stieß und auf den Straßenrand zutaumelte, heulte hinter mir der Traktor auf. Ich drückte mich gegen den Zaun, als die stählernen Gabelstaplerzinken des Massey Ferguson an mir vorbeirumpelten. Ich lief weiter, immer hinter dem Fahrzeug her, und versuchte, den Erdklümpchen auszuweichen, die die Reifen aufwirbelten. Das quietschende metallische Knirschen der Gangschaltung dröhnte durch die Nacht, während mein Vater über dem Lenkrad stand und versuchte, mehr Tempo aus der alten Maschine herauszuholen. Das Protestgeheul des Motors entsprach der Hysterie, die ich in meinem Kopf kreischen hörte.
Ich holte die roten Schlusslichter ein und hastete an ihnen vorbei. Dann rannte ich vor dem Gefährt her, die scheinbar endlose Straße hinunter, zwischen den Bäumen hindurch und auf die Wiese zu. Ich eilte in die Lichtung hinein, stürzte auf die Hütte meines Bruders zu und versuchte dabei, mir auf die Szene, die sich vor meinen Augen abspielte, einen Reim zu machen.
Zuerst glaubte ich, der See stünde in Flammen. Orangefarbenes Licht, wütend zuckend, erhellte die Nacht. Die grellen Flammen, die aus der Holzhütte hochschlugen, spiegelten sich im dunklen Wasser des Sees. Funken stoben vom Schindeldach auf, explodierten in den Himmel hinauf und verloschen dann im Dunkeln. Hungrige Flammen loderten aus den offenen Küchenfenstern. Gierig griffen sie nach draußen und auf die Äste des Apfelbaums über. Wie eine gewaltige Fackel brannte der alte Baum, der die Hütte über ein halbes Jahrhundert bewacht hatte, in den Nachthimmel hinauf.
Glühende Hitze, die in Wogen ausstrahlte, verzerrte den seltsamen Tanz, den die flackernden Schatten aufführten. Vor der Hütte hatten Morgan und Carl, rechts und links von Mom, große Mühe, sie zurückzuhalten. Sie kämpfte wie eine Wahnsinnige, um sich loszureißen, während sie auf die Tür der Hütte zustrebte. Eine Stimme, die ich kaum wiedererkannte, brüllte die beiden an, forderte, drohte und bettelte, sie zu ihrem Sohn zu lassen.
Ich rannte zur Seite der Hütte, zum Anbau, zu Boyers Schlafzimmerfenster. Ich zog mich, ans Holz gekrallt, nach oben und versuchte, an der Seite hochzuklettern, und ich rief dabei unentwegt den Namen meines Bruders. Starke Hände packten mich und zerrten mich zurück.
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