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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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Augen schon wieder abgewandt, spähte in die Dunkelheit als suche sie dahinter ein Licht. Wie in der Kirche, wenn die Menschen Kerzen entzündeten und zusahen, daß sie brannten, denn nur wenn sie brannten, sahen sie etwas anderes, das sich dahinter verbarg, einen Traum und dessen Erfüllung. Genauso merkwürdig glotzte sie jetzt herüber. Es waren dieselben Augen, die Gabriel durchbohrt hatten, klein und häßlich war er geworden, aber sie trug vielleicht eine Maske im Dienst, hinter der sich etwas anderes verbarg, etwas Kraftloses womöglich, vielleicht war sie zerbrechlich und alles war aussichtslos.
    Hatte sie denn sonst nichts zu tun? Kamen keine Anrufe, keine Leute? Die ganze Unordnung. Sie sah auch nicht so toll aus, alte Jeans und ein Polohemd. Biggi trug die neue Jeansjacke und den schwarzen Rock, doch beides hatte sie an der Henkel ewig nicht gesehen. Vielleicht trug man nicht mehr Schwarz und Blau, wer wußte, wie das kam, es ging schnell mit diesen Dingen. Sie trat vom Fenster zurück. Es war so kalt hier drin.
    Es wurde immer kälter, obwohl die Heizung lief. Theresa Jung hatte etwas über die Heizung gesagt, etwas, das kaum von Bedeutung war − ja, daß sie gluckerte in der Nacht. Nachts war Biggi aber nicht hier, es ging noch nicht, wegen dem Bad. Aber die Heizung war gar nicht das Problem, es waren Biggis Hände. Waren die Hände einmal kalt, wurde man nicht mehr richtig warm, die ganze Kälte kam von den Eiswürfeln. Sie brauchte neue. Sie mußte so viele Eiswürfel machen, und das Gefrierfach war so klein. Die Finger wurden klamm und rissig und dann ging es auf den ganzen Körper über, die Kälte und der leichte Schmerz, der kam, packte man Gefrorenes an. Dauernd die Kälte auf der Haut, überall die Kälte.
    Sie ging in die Küche und sah nach. Theresa Jung hatte das Gefrierfach sicher ein paar Jahre lang nicht abgetaut. Biggi konnte sich jetzt aber vorstellen, daß die Henkel es drüben auch nicht tat. Es gab diese Leute, die nachlässig waren, mit allem. Sie ließen Sachen im Kühlschrank verschimmeln, sie putzten nur, wenn der Dreck sie ansprang, sie räumten nicht richtig auf, sie sagten: »Ich melde mich« und riefen dann doch nie an.
    Die neuen Eiswürfel waren fertig. Sie klirrten, als Biggi sie in den Eimer fallen ließ, klirrten, wie es in einer Bar klingen mußte, sie stellte sich das manchmal so vor. Eiswürfel im Glas. Ein Mann, der Feuer gab, eine Frau, die lächelte und sagte: »Ich rauche nicht.« Dummes Zeug. Der Mann konnte ja erst Feuer geben, wenn die Frau eine Zigarette zückte, und wenn sie gar nicht rauchte – auf jeden Fall lächelte er sie an, und die Frau lächelte zurück, ganz leicht, ohne sich heranzuschmeißen.
    Der Eimer war erst zur Hälfte gefüllt und unten fing es schon wieder an zu schmelzen.
    Theresa Jung hatte wohl über Jahre hinweg keine richtige Grundreinigung gemacht. Was man zuerst sah, war ganz ordentlich, aber hinter den Möbeln sah es böse aus, Staubflocken und Spinngewebe. Sie hatte so häufig am Fenster gestanden, daß sie vielleicht keinen Blick mehr für die Wohnung hatte. Ihre lautlosen Tage hatte sie verbracht, ohne auf das Nötigste zu achten, nur auf das, was draußen war, die Hunde, die da rannten, und die alten Männer mit den Leinen hinterher.
    »Nein, ich kenne sie gar nicht«, hatte sie gesagt und dabei eine Haarsträhne um den Finger gewickelt. »Die junge Frau von gegenüber? Ja, die sehe ich manchmal, wenn sie nach Hause kommt, oder im Supermarkt, aber ich weiß nicht, wie sie heißt oder was sie macht. Das muß ich doch nicht wissen, oder?«
    Es war komisch, Theresa Jung hatte geguckt und geguckt, ohne richtig etwas zu sehen. Als hätte sie sich nur ans Fenster gestellt, um der Welt zu zeigen, daß sie in ihr war. Biggi trug den Eimer ins Bad. Trug sie schwer, brauchte sie die Krücke, darum kaufte sie immer nur wenige Dinge ein, ging lieber mehrmals in den Supermarkt, weil es dann ohne die Krücke ging.
    Da oben war ein Riß, lief quer über die Decke, sie guckte jedesmal nach oben, wenn sie mit dem Eimer ins Bad kam, ein Riß, der übertüncht werden müßte. Sie sah so lange hin, bis sie mit den Knien gegen die Badewanne stieß, dann warf sie die Krücke zurück zur Tür und schüttete die Eiswürfel aus dem Eimer in die Wanne, und es prasselte und klirrte auf der blauen Folie. Sie schmolzen so schnell. Sie drehte sich um und stützte sich am Heizkörper ab, als sie das Fahrenheit versprühte, machte kreisende Bewegungen und sah

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