Mimikry
denn einen persönlich?« fragte er.
»Nein, muß ich auch nicht. Wissen die denn überhaupt, was ein Tatort ist? Hören Sie sich das mal an.«
»Was?«
»Die Musik. Wenn’s denn Musik ist. Sobald es dunkel wird, glauben die, sie müßten Schnulzen spielen, die ticken ja nicht.«
Stocker strich sich die Hosenbeine glatt. »Legen Sie bloß keine Kassette ein. Welche Musik hören Sie denn mit dem süßen Thomas Czerwinski?«
Sie öffnete die Augen. »Da haben Sie aber geübt. Haben Sie den Namen hundertmal runtergebetet, oder was? Außerdem geht Sie das –«
»Ich hab mir noch mal die Akte genommen«, sagte er.
»Die gehört nicht zu uns, da haben Sie gar nichts verloren. Wo war sie denn?«
»Diebstahl. Pkw.«
»Sag ich doch, da haben Sie nichts verloren. Haben Sie vielleicht auch das Datum von dem letzten Eintrag gesehen? Sie stehen doch sonst so auf den Resozialisierungskram, lassen Sie ihn doch einfach in Ruhe, lassen Sie mich in Ruhe.«
»Na, wenn Sie meinen.« Er sah wieder aus dem Fenster. »Soviel ich gehört habe, ist diese Czerwinski-Sippe ein ziemlich aso … – also, ein komischer Haufen. Acht Kinder hat sie, von drei Männern.«
»Ist doch ihre Sache, oder? Erstens sind es sieben Kinder und zweitens – ich will keine sieben Kinder großziehen, ich find, das ist ’ne Leistung.«
»Berufsausbildung hat er ja nun keine.«
»Der arbeitet, wissen Sie? Kapieren Sie wohl nicht. Der schnorrt keine Staatsknete und er macht auch keinen Bruch und er dealt nicht, genügt das?«
»Ja, wenn’s Ihnen genügt.« Er schüttelte den Kopf. »Ich fand es nur einen weiten Weg von einem Studenten der Philosophie –«
»Informatik.«
»Einem Studenten der Wasauchimmer zu einem Thomas Czerwinski.« Er sah sie an. »Stimmt, ich bin ein Spießer. Das beruhigt aber. Ich meine, ich habe einen ritualisierten Alltag –«
Sie lachte. »Und das sollte man haben, ja?«
»Es gibt Sicherheit. Mir gibt es jedenfalls Sicherheit. Zu Hause ist die Familie, das ist ein anderes Leben. Das geht seinen Gang, da passiert nichts Aufregendes, da weiß ich, was ich habe.«
»Na schön, wenn Sie’s brauchen, ist es doch okay.«
»Das ist wie mit dem Briefkasten«, sagte er. »Ich hab lieber, der ist leer, als daß dauernd was drin ist, und das sind dann alles Rechnungen. Verstehen Sie?«
»Klar, Sie vergleichen Ihre Familie mit einem Briefkasten.«
»Na, Sie wollen es nicht –«
»Doch, ich kapier das schon«, sagte sie. »Wenn es für Sie okay ist, ich misch mich da nicht ein. Wissen Sie was, am Anfang, da hab ich auch – also, kleiner Autodieb aus so ’ner polnischen Aussiedlersippe und daß das nicht geht, ich bin auf der anderen Seite und wenn das rauskommt – aber das ist mir jetzt egal, wissen Sie, wir sind auf genau derselben Seite, und außerdem ist der mir inzwischen hundertmal lieber wie so einer, der alle naslang an mir rumkritteln muß.«
»Und was machen Sie, wenn er’s wieder tut?«
»Nein. Macht er nicht.«
»Sie machen sich zu wenig Gedanken über alles.«
»Finden Sie?« Sie öffnete die Tür und sah an dem Haus hoch. Papier raschelte, und als sie den Kopf drehte, reichte er eine Tüte Bonbons herüber. Sie schüttelte den Kopf. »Ich möchte hier ja nicht wohnen.«
Er nickte. »Vor allem weiß man nicht, wo man parken soll.«
»Vielleicht liegt die Benz ja in ihrer Wohnung.«
»Guter Gott.«
»Und nach paar Monaten dürfen wir dann anrücken.«
»Lassen Sie’s.«
»Die liegen überall«, sagte sie. »In so ’nem Abbruchhaus hat auch einer Jahre tot vorm Fernseher gesessen, in Berlin, glaub ich. War dann das erste Skelett, das fernsieht. Ist vielleicht beim Musikantenstadel gestorben. Oder beim Mosbach.«
»Lassen Sie das«, murmelte er.
Sie schlug die Fingerspitzen aneinander. »Haben Sie das ganze Tagebuch von der Bischof gelesen? Die schreibt wirklich in allen Einzelheiten, wie der Mosbach – na ja, nicht in allen Einzelheiten, aber sie schreibt, daß sie mit dem ins Bett ist. Ich will die Benz noch mal danach fragen, ich meine, die Benz ist zu – also, der Typ ist ihr Chef.«
»Zu loyal, meinen Sie?« Er rieb sich die Augen. »Sagen Sie immer einen Satz nach dem anderen.«
»Loyal, untertänig.« Sie drehte das Radio noch etwas leiser. »Und dann haben wir miteinander geschlafen und es war genau, wie ich es mir vorgestellt habe.«
»Bischof, ja?« fragte er.
Sie nickte.
»Das ist die andere Seite«, sagte er. »Das Tagebuch wäre ja nun wirklich dazu da, es genauer zu
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