Mimikry
dem Sprühnebel zu, wie er schwebte. Zuerst hatte sie den Duft gar nicht gemocht, jetzt wollte sie ihn überall riechen. Sie schloß die Badezimmertür und ging in die Küche zurück, es war niemand hier. Kein Mensch außer ihr.
Sie gewöhnte sich langsam an den Gedanken, daß sie in der Wohnung alleine war, als sei es ihre Wohnung, ihre neue Wohnung, niemand sonst war hier. Sie hatte aufgehört zu reden, weil keine Antwort kommen würde, es war dumm, in die Luft zu reden, gegen die Wände, in die leeren Zimmer hinein.
39
Der Wohnblock am Rand der Innenstadt sah aus, als sei er hochgezogen und vergessen worden. Grauer Putz bröckelte von den Fassaden, die Kunststoffrahmen der Fenster waren schwarz vom Dreck der Straße. Winzige Rasenstücke lagen vor den Häusern, kleine Bollwerke gegen Autolärm und Gestank, die man nicht betreten durfte.
Vor dem Haus, in dem Birgit Benz wohnte, durchsuchte ein Mann die Mülltonnen. Bedächtig zog er ein paar Kleidungsstücke heraus, schlug sie gegen die Tonne, damit der gröbste Dreck sich verzog, dann hielt er sie prüfend gegen das Laternenlicht: ein Mantel, ein Anorak und ein Kopftuch. Der Anorak hatte Kindergröße, er flog zurück in den Müll. Das Kopftuch steckte er ein, den Mantel probierte er an.
»Steht ihm nicht«, sagte Stocker. Der Mann sah das anders. Zufrieden befühlte er den Stoff, klappte den Deckel der Tonne zu und nahm seine Tüten. Im Vorübergehen warf er einen Blick in den Wagen, hob grüßend die Hand.
»Bis zu den Tagesthemen möchte ich zu Hause sein.« Stocker drehte den Kopf hin und her. »Schlafen Sie?«
»Würde ich gern.« Ina Henkel hatte die Augen geschlossen. Sie tastete nach den Knöpfen des Autoradios und drehte eine Schnulze leiser. »Ob die noch arbeitet?«
»Wir hätten uns anmelden sollen«, sagte er.
»Irgendwie war ich mir sicher, die ist zu Hause.«
»Warum?« fragte er.
»Nur so. Ich glaub nicht, daß die viel rumläuft. Ich meine, ich kann mir nicht vorstellen, daß die groß auf der Piste ist, daß die überhaupt gesellig ist, umgänglich, was weiß ich.« Sie richtete sich auf und öffnete das Seitenfenster einen Spalt. Wie ein Grundrauschen legte sich das Geräusch der vorbeifahrenden Wagen über alles andere, wie im Radio, wenn man einen Sender suchte und aus der Ferne ein paar Töne hörte, Geisterstimmen im Geknister. Irgendwo zerplatzte Glas auf dem Pflaster und ein kippendes Stimmchen sang dazu, dann sprang die Ampel auf Gelb und das Stimmchen erstarb.
»Träumen Sie was? Tagträumen kann man auch am Abend.« Stocker öffnete eine neue Coladose. »Wie die Bischof es gemacht hat. Von berühmten Männern mit Blumen.«
»Der Kissel hält sich bißchen arg mit dem Puff auf, finden Sie nicht? Der hat doch jetzt den Jugo.«
»Das ist ein Kroate«, sagte Stocker. »Aber der war’s ja nicht. Jedenfalls glaubt er das.«
Sie schloß das Fenster wieder. Neben ihnen hielt ein Radfahrer, packte Kaugummi aus und duckte sich unterm Wind. »Warum wird der eigentlich schon wieder befördert?«
»Der Kissel?« Stocker lachte. »Weil er dran war.«
»So.«
»Die nächste Sache kriegt er eh, Puff hin oder her. Meine Frau war gestern mit einer Kollegin in einer Männerstrip-Show. Haben aber nichts gesehen, denn die letzte Hülle lassen die Herren nicht fallen. Tja, das war Pech.«
Sie gähnte. »Warum sollten sie? Im Ruhezustand ist das Ding ja nicht so aufregend.«
»Schön, ja.«
»Und das Gegenteil dürfen sie schon gar nicht zeigen. Genauso in den Zeitschriften, muß man bei den Männermodels noch nachmessen, ob die nur ja keinen einschlägigen Winkel haben, das sind Sorgen. Bei der Sitte kam die Staatsanwältin mal mit Playgirl an, Winkel gucken.«
»Das konnte die selber nicht beurteilen?«
»Sie wissen doch, welche Staatsanwältin das ist.« Sie lachte. »Oder die Exhis, wissen Sie, wie oft wir wegen Paragraph 183 im Park rumlungern mußten? Als wär sonst nichts zu tun. Das dollste war, wie so ein Polizeipsychologe vor der Presse mal gefaselt hat, bei Exhibitionismus dürfe die Gesellschaft nicht wegsehen. «
»Tja.« Er reichte ihr die Coladose.
Sie schob seinen Arm weg. »Ich trinke nichts. Es ist immer dasselbe, sobald ich im Auto rumhocke und warte, muß ich aufs Klo. Das muß vom Kopf kommen, ich meine, es ist ja nur, wenn ich weiß, daß es nicht geht.«
»Psychisch.«
»Ja, ja.« Sie lehnte den Kopf zurück und schloß die Augen. »Sind doch alles Amateure.«
»Wer?«
»Polizeipsychologen.«
»Kennen Sie
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