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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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auch.
    Drüben ließ die Henkel die Scherben einfach liegen. Sie setzte sich aufs Bett, und der Mann kniete sich vor sie hin. Sie beugte sich nach vorn, redete auf ihn ein, und dann, als sie sich zurücklehnen wollte, schlug er ihr ins Gesicht.
    Er hatte nicht besonders ausgeholt. Er schlug, und sie kippte nach hinten.
    Die Zeit stoppte und verging nicht mehr, sie wirkten beide wie erstarrt. Ein paar Sekunden lang sahen sie wie Wachsfiguren aus, so modelliert, daß ihre Bewegungen der Nachwelt erhalten blieben.
    Der Mann war der erste, der wieder zu leben begann, er sprang auf und taumelte zurück. Die Henkel sah ihn an, nur das, sie glotzte. Sie schlug nicht zurück, sie ließ es geschehen. Als er aus dem Zimmer rannte, guckte sie hinterher, und auch, als er verschwunden war, hatte sie den Kopf noch zur Tür gedreht, als erwarte sie, daß er zurückkam, doch er kam nicht zurück. Draußen hämmerten seine Schritte auf dem Pflaster, gegenüber war sie wieder zur Wachspuppe geworden, hockte bewegungslos da, erniedrigt, besiegt, bezwungen. Eine Puppe, aufs Bett geworfen, bis Möbelpacker kamen oder Leute, die den Sperrmüll beiseite schafften. Dann fing sie an zu heulen, beugte sich vor und vergrub das Gesicht in den Händen, sah armselig aus. Wehrlos und schwach. Biggi trat vom Fenster zurück. Es gab nichts zu sehen.
    Es war ein Irrtum gewesen.
    Sie sah auf den Boden, bewegte sich nicht. Nach einer Weile kratzte sie mit der Schuhspitze einen Fleck weg, ging ein paar Schritte im Zimmer herum. Es war so still. Es war immer so still gewesen hier drin. Hier und zu Hause und überall. Sie nahm das Fahrenheit von der Kommode und ging langsam in den Flur hinaus. Manchmal wagte man etwas, das war dann vergebens. Da nahm man Anlauf, um ins Wasser zu springen, und kam nur bis zum Beckenrand.
    Als sie die Badezimmertür öffnete, fiel ihr ein, daß ihre Schritte die Uhr übertönt hatten, das träge Ticken der Uhr, sie war im Rhythmus der Zeit gegangen, immer weiter und dann doch ohne Richtung und Ziel.
    Das Bad roch nach Rosen. Die Königin der Blumen war die Rose. Als sie klein war, hatte sie geglaubt, eine Rosette wäre eine kleine Rose, ihre Mutter erzählte ihr das hin und wieder. »Früher«, erzählte sie, »bist du so putzig gewesen, jetzt bist du langweilig und verbittert. Warum machst du nichts aus dir?«
    Es war kalt. Sie schraubte den Flakon auf und hielt ihn hoch, als sie den Inhalt in die Wanne schüttete. Das sah komisch aus, wie ein Pißstrahl, und es roch auch nicht gut. Nuttengeruch. Nutten, die sich prügeln ließen und sich noch bedankten. Machtlos, willenlos und zerbrechlich, nichts weiter, nur Krücken. Kein vernünftiger Mensch konnte sich an Krücken orientieren, im Synonymwörterbuch stand neben dem Wort Krücke das Wort Versager, das hatte seinen Grund. Sie stützte beide Hände auf den Wannenrand. Wie Papierboote in Regenpfützen segelten die Kühlakkus im Wasser herum. Dann ein Geräusch wie ein Wimmern, es kam vielleicht aus den Rohren. Ein Wimmern in den Heizungsrohren, verrückt. Wie Theresas Gejammer, wie ihr Schrei, Theresa hatte laut geschrien, so wie Biggi jetzt schrie, als sie sich über die Wanne beugte und das Klatschen hörte, das Klatschen ihrer Hand im Wasser, ihre Hand auf dem blauen Bündel, und sie wußte, daß sie schrie, doch sie wußte nicht, was.
    Im Hinterkopf wußte sie, daß sie das nicht durfte. Im Hinterkopf, das sagte man, in irgendeinem Teil des Hirns. Sie verstand die eigenen Worte nicht, als sie auf die blaue Folie schlug, erst mit der Faust, dann mit der offenen Hand, sie hatte viele Abfalltüten gebraucht, einen ganzen Packen blauer Abfalltüten damals, alle aufgeschnitten, der Länge nach aufgeschnitten, und sie hatte Schnüre gebraucht, Bindfäden, Kordeln. Das Wasser spritzte ihr ins Gesicht und die blaue Folie fühlte sich wie Knetgummi an, als sie riß.
    Da merkte sie erst, daß sie wieder geschrien hatte.
    Als Kind hatte sie viel mit Knetgummi gespielt, man machte große Gebilde aus Knetgummi und hatte dann das Gefühl, man käme ans Ende der Welt, griff man mit der Hand hinein, immer weiter und durch alles hindurch. So war es jetzt auch. Kurz spürte sie noch die kalte, glatte Haut der blauen Folie, bevor sie auf Weiches stieß, eine Beule, eine Nase, dann sah Theresa Jung sie an.
    Nein, tat sie nicht, nein. Sie guckte zur Decke. Biggi hob den Kopf. Der Riß an der Decke, ganz fein, wie ein angeklebtes Haar. Es war wieder still.
    Hatte sie wirklich geschrien? Sie

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