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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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eingedellt –«
    »Ja«, sagte er. »Von den Schlägen. Ursache und Wirkung, sieh es ganz nüchtern.«
    »Sie war nicht mehr –« Sekundenlang schloß sie die Augen, bevor sie mit den Fingerspitzen über seine Handgelenke strich. Fast meinte sie, seinen Puls zu spüren, ruhig, langsam, entspannt, dann packte sie zu.
    »Hey, was –« Er lächelte flüchtig. »Das tut weh.«
    »Du hast sie gesehen, ja?«
    »Wen? Die Bischof?«
    »Du weißt, wie sie aussah.«
    »Du hast es doch gerade gesagt. Außerdem ist im ganzen Haus bekannt, daß die erschlagen wurde.« Er beugte sich vor, drückte seine Stirn gegen ihre, murmelte: »Fang nicht wieder an.«
    Sie ließ ihn los.
    »Traust du mir das zu?« fragte er.
    »Sicher. Ich trau jedem alles zu, willst du das hören?«
    Er lächelte. »Klammer dich nicht an irgendwas. Aber wenn’s dich glücklich macht, dann verhör mich halt wieder.«
    »Ich krieg das raus, ich sag doch, ich kann meinen Job.«
    »Irgendwann liegst du flach«, sagte er. »Dann kannst du ihn nicht mehr.«
    Sie ging um die Mülltonnen herum und kickte eine Bierdose zur Seite, wußte nicht, wie lange das hier gedauert hatte, wußte kaum mehr, was sie gesagt hatte.
    Unprofessionell. Bestimmt. Aber nicht so schlimm, daß sie darüber krepiert wäre.
    Als sie sich umdrehte, kippte er den Sherry herunter. Noch im Wagen sah sie seine grünen Augen. Sie hielt an irgendeiner Ecke und sah auf die Straße. Die Ampel sprang auf Gelb, auf Rot, auf Gelb, auf Grün, ein Mann im Laufschritt, eine Frau, die ihr Fahrrad schob, ein Hund mit Herrchen. Sie hatte es gesagt. Und nichts fiel grollend vom Himmel herunter, wenn man redete, oder zischte aus der Hölle empor. Die Welt war noch da. Das Leben auch.

43
    Als Biggi in die Lenaustraße zurückkehrte, guckte sie zum Haus gegenüber. Noch immer kein Licht. Vielleicht redeten die Polizisten noch über das, was sie gesehen hatten, hockten in einer Kneipe und lachten über ihre Möbel und ihre Bücher und über sie selbst. Sie hatte gestottert, oder? Sie hatten es gemerkt. Die Henkel hatte sie angemotzt, die war nicht freundlich gewesen, kein Mensch wollte Polizisten in der Wohnung haben, doch man konnte sich nicht wehren. Die Henkel hatte auf ihr Telefon geguckt, als erwartete sie, daß es klingelte.
    Hierher hätten sie kommen sollen, doch wie sollte sie das erklären? Langsam ging Biggi durch die schönen Räume, berührte den alten Nußbaumschrank und die Vasen. In Gedanken ging sie noch einmal alles durch, gab passende Antworten auf schnippische Fragen, kühl und überlegen. Ihr Leben lang hatte sie anders sein wollen. Sie hatte die Stimme der Henkel noch immer im Kopf, » Welche Art von Kontakten kennen Sie denn? «Leise und böse – nein. Höhnisch, anmaßend – nein, das bildete sie sich ein.
    Nicht daran denken. Alles war normal.
    Sie nahm die Kühlakkus aus der Plastiktüte, die sofort zwischen den Fingern zu brennen begannen. Merkwürdig, daß Kaltes brannte auf der Haut. Heißes kühlte ja auch nicht, wieso konnte Kaltes brennen?
    Sie öffnete die Badezimmertür. Es war so still, man hörte gar nichts, nur diese Uhr auf der Kommode, ganz langsam kam man dahinter, Ticken war der Rhythmus der Stille. Sie blieb stehen, sah auf die Wanne und schleuderte die brennendkalten Akkus hinein.
    Es war zu wenig Wasser in der Wanne.
    Die Eiswürfel waren wieder geschmolzen, sicher, die lösten sich auf, alles löste sich auf irgendwann. Ein paar Tropfen, wie Gänsehaut, auf der blauen Folie in der Wanne. Langsam kniete sie sich hin, es tat weh. Überall Schmerzen, nicht nur im Bein. Schmerzen beim Atmen, weil sie nicht weinen wollte, Schmerzen im Magen, ein Stich.
    »Welche Art von« – sie räusperte sich – »Kontakten kennen Sie denn?«
    Jetzt räusperte sie sich sogar, wenn niemand zuhörte, oder hörte jemand zu? Zu leise, es mußte verächtlicher klingen. Ja, als würde man den letzten Dreck das fragen, abfällig und lieblos, »WELCHE ART VON KONTAKTEN KENNEN SIE DENN?«
    Keine Antwort. Sie stützte sich am Wannenrand ab und flüsterte: »Niemand ruft an. Hier klingelt es nie.« Sie konnte nicht lauter sprechen, es hallte hier, und sie bekam nichts Gescheites mehr heraus.

44
    Während der ganzen Fahrt hatte Ina Henkel dieses kalte Licht gesehen, Hilmars grüne Augen, ein flackerndes Bild hinter der Stirn. Sie hatte ihre Gedanken einfach losgelassen und dann waren sie aus dem Hirn auf die Zunge gekrochen, als gehörten sie da hin. Als hätte es sein müssen, als hätten

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