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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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wurde ganz fahrig, zittrig, sie wurde ja langsam verrückt. Sie schrie nicht so oft, meistens war sie still.
    Eine nasse, dunkle Haarsträhne ging Theresa bis zur Nase und sie hatte viele Flecken auf den Wangen, graue Wangen, blauschwarze Flecken. Aber sie sah noch so aus, wie sie damals ausgesehen hatte, als sie Kaffee brachte und Plätzchen. Das Gesicht, man erinnerte sich doch, dunkle, blanke Knöpfe in einem bleichen Gesicht. Nur der Mund war jetzt anders. Die Lippen waren verzogen und die Zähne entblößt, alles war irgendwie schief. Julias Gesicht war auch so verrutscht gewesen. Links und rechts die blaue Folie, dazwischen Theresas Gesicht. Wie eingewickelt das Gesicht, wie das Gesicht eines Babys im Kinderwagen, wenn es ein Mützchen trug und in Kissen gebettet war.
    »Nein«, sagte Biggi, »nein.« Vielleicht sah sie selber jetzt aus wie die Henkel vorhin, so erbärmlich, ihr Gesicht war ganz naß. Sie hätte alles gegeben, wie die Henkel auszusehen, alles gegeben, wie sie zu sein, das war jetzt vorbei. Die hatte gelogen und getäuscht. Nur eine Krücke mehr.
    » Trinken Sie doch noch ein Täßchen « , sagte Theresa. » Oder müssen Sie die Dame gleich observieren? «
    Nein, sagte Biggi, nicht gleich.
    » Wie lange müssen Sie denn observieren? «
    Ich weiß nicht, weiß nicht genau.
    » Werden Sie abgelöst? Ich möchte nicht allzu viele fremde Leute in der Wohnung haben, das verstehen Sie doch. «
    Ja, ich weiß. Keine fremden Leute. Aber andere gibt es doch gar nicht für dich. Gibt doch ausschließlich fremde Leute.
    » Wenn Sie irgend etwas brauchen, sagen Sie Bescheid. Ich könnte eine Kleinigkeit kochen am Abend. Wer gearbeitet hat, muß essen. «
    Ja, danke.
    » Na hoffentlich geht alles gut. «
    Ja, vielleicht.
    » Ich drück die Daumen. «
    Ja.
    Es war kein Wasser mehr auf Theresas Gesicht. Jemand sollte ihr die Augen schließen. Sie traute sich nicht.
    »Es ist nichts«, flüsterte Biggi. »Bleib liegen, es ist nicht so schlimm.«
    Sie zitterte. Sie hatte die ganz Zeit so gezittert, darum war ja auch die Folie gerissen, sie spürte das Beben im ganzen Körper und wollte nicht mehr hinsehen, während sie die blaue Folie wieder über Theresas Gesicht zusammenzog, und das Wasser war schon wieder abgelaufen, weil dieser Stopfen da, wie hieß das Ding denn, Stopfen in der Wanne nicht hielt oder undicht war oder was auch immer, so konnte es nicht weitergehen.
    Doch, es mußte. Immer ging es weiter. Es war nichts passiert. Es war alles normal.
    Theresa Jung hatte erzählt, daß sie sich immer zwei Töchter gewünscht hatte und einen Sohn. Oder andersrum, zwei Söhne und eine Tochter, um nicht allein zu sein, um für jemanden zu sorgen und selbst umsorgt zu werden, das hatte alles nicht geklappt. Es hatte sich nichts geändert, jetzt lag sie da. Früher hatte sie gestanden, dauernd am Fenster gestanden, jetzt lag sie herum.
    Biggi hatte nachgesehen, was das Wort bedeutet, liegen. Ruhen, lagern, einen Platz einnehmen, man sprach die Worte aus und dachte niemals groß darüber nach. Manchmal liegen sie und keiner holt sie raus.
    Sie drehte den Hahn auf, bis das Wasser das Bündel wieder bedeckte, und sie zitterte überall, selbst im Magen drinnen zitterte es, in den Beinen, in der Brust, sie wollte weg. Wollte endlich hier weg, und sie stolperte die Treppen herunter und es war ihr egal, wie laut sie war, diesmal war es egal.
    Einen Moment nur blieb sie auf der Straße stehen. Licht brannte drüben im zweiten Stock, auch das war egal, denn sie sah nicht mehr hin. Als sie an dem weißen Astra vorüberkam, war es ganz leicht, den Außenspiegel zu verbiegen, leicht, ja, und kindisch. Das wußte sie, es war kindisch, doch es knirschte auch so, als käme man an Knochen heran.

46
    Mitternacht war längst vorbei, kaum Geräusche auf der Straße. Ina Henkel fegte die Zeitschriften vom Bett, Partnerschaftstips: Gemeinsam kommen oder nicht? Sie drückte den Handrücken unter die Nase, um das Schniefen einzudämmen, das sie noch immer wie ein Schüttelfrost befiel, kurze, abgehackte Töne, wie bei Gören. Dann stand sie auf und nahm die leeren Korktafeln von der Wand. Als Achtjährige hatte sie Fotos ausgeschnitten, es mußte mal gut sein. Alles mußte gut sein irgendwann.
    Nur noch schwach konnte sie sich an ihre Pfuscherei erinnern, in dieser Nacht, als sie Fried fanden, wie sie die Wangen der Models verschmiert und ihre Lider verunstaltet hatte mit dem Lippenstift von Yves Saint Laurent, dem teuersten, den sie

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