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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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zwischen den Mülltonnen war es still, bis auf die Geräusche, die man hören konnte, wenn es eigentlich keine Geräusche gab, ein Flirren in der Luft. Im Halbdunkel verschwammen Hilmars Züge, nur seine Augen schienen zu leuchten, dieses merkwürdige grüne Licht. Sie sagte: »Die sind anders als er. Die wir haben, die Toten. Anders als dein Freund, meine ich – Ihr Freund.«
    »Nein, ist okay«, sagte er. Feierlich fügte er hinzu: »Mein Name ist Frank.«
    »Ja, weiß ich.«
    »Und wie sind die?« fragte er.
    »So« – sie legte den Kopf in den Nacken – »häßlich.« Sie hatte es nur geflüstert.
    »Sprich lauter«, sagte er.
    »So häßlich gemacht. «Ruckartig holte sie Luft. »Man müht sich und rennt rum und macht was aus sich und mit einem Mal liegt man dann da wie so ein Haufen –«
    »Ich versteh kaum«, sagte er.
    »– liegt man da –«
    »Etwas lauter.«
    »Wir hatten mal ’ne alte Frau.« Sie sah ihn nicht an, doch konnte sie ihn wahrnehmen, wie er da stand, gegen die Mauer gelehnt, mit dem Sherryglas in der Hand, das er beharrlich kreisen ließ. Zwischen ihnen der Müll. »Paarundachtzig, prima drauf und alles. Ist noch jede Woche in so ’n Altenclub gestiefelt, hat was aus sich gemacht und so. Nachher macht sie einem die Tür auf, der sagt, er war’ der Postbote, lag sie dann da. Ganzes Gesicht war eingeschlagen, ich konnte gar nichts mehr – sehen. Fünfzig Mark haben gefehlt, mehr hatte sie nicht da. Ist immer ganz vorsichtig gewesen, hatte nie viel Geld im Haus.« Sie hob den Kopf. Der Himmel war eine graue Decke, keine Funken, keine Sterne, doch das Flirren in der Luft erinnerte sie an Sommer und Sonne und Meer.
    Bischof hatte über den Himmel etwas gesagt, in ihrem Tagebuch; war der Himmel ein Stück vom Glück, dann wollte sie dahin. Sie spürte Hilmars Hände auf ihren Armen, deshalb konnte sie die Tränen nicht wegwischen, und sie wußte nicht, wann sie das letztemal geheult hatte, während einer zuguckte, das mußte Jahre her sein, ewig.
    »Ich mag sie nicht«, flüsterte sie. »Diese – die Leichen. Ich hab Angst vor denen. Es gibt so ’n Wörterbuch mit diesen Ausdrücken, kennst du’s? Sinnverwandt oder so.« Sie zog die Nase hoch, kam ja auch nicht an ihr Taschentuch heran, weil er ihre Arme festhielt, aber das machte nichts, es war kein Klammergriff, es war okay. »Da steht so ’n Kram drin. Sterbliche Hülle und so. Überreste. Überreste wären ja Reste vom Leben, nicht, aber so ist das nicht. Gibt nichts mehr, bloß noch Wunden. Und Knochen und – zu Hause seh ich sie dann da liegen, ich meine, immer noch liegen. Zu Hause, wenn ich Feierabend hab, und ich will nicht –«
    Er sagte nichts. Durch diesen Schleier hindurch sah sie seine grünen Augen, und sie guckte wieder weg. »Laß mich mal los«, murmelte sie. »Ich brauch ein Tempo.«
    »Magst du jetzt den Sherry?« fragte er.
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich trink nicht gern so was. Höchstens mal Rotwein. Zu Hause trink ich meistens Fanta. Mit Eis. Am Anfang hab ich gedacht, man müßte die Toten lieben, so ähnlich jedenfalls, damit man gut ist und nicht nachläßt. Das ist aber Blödsinn, ich muß die loswerden wie – ich weiß nicht – Gespenster.«
    Er lachte. »Es sind Gespenster.«
    Sie knüllte das Tempo zusammen. »Ich kann meinen Job. Ich meine, ich bin streßstabil, das ist rausgekommen damals. Beim Test ist das rausgekommen, die haben so einen Eignungstest gemacht. Ich kann viel arbeiten und reagiere sehr schnell, und die können mir in Vernehmungen tausendmal dieselben Lügen vorgreinen, ist mir wurscht. Ich weiß, wann ich die Waffe zu ziehen hab und wann nicht, und ich kann abwarten. Ich meine, mich hat mal einer mit der Waffe bedroht bei der Sitte damals, bin ich auch nicht ausgeflippt, ging ganz gut. Streßstabil, das ist da rausgekommen und trotzdem – aber, na ja, das gibt sich vielleicht.« Das Flirren der Luft verwandelte sich in ein dumpfes Grollen, Autos irgendwo und Stimmen. Vielleicht war es die ganze Zeit so gewesen und sie hatte es nicht wahrgenommen. Sie sah an ihm vorbei.
    »Vielleicht gibt es sich«, sagte er, »wenn du es nicht für dich behältst und niemandem was vorspielst. Wenn du dir selber zuhörst, wenn –«
    »Manchmal glaube ich, die haben Macht über mich.« Sie sah ihn an, kniff die Augen zusammen. »Sind so grauenhaft – selbst in Träumen. Deine Nachbarin, die Bischof – die Augen waren nicht mehr richtig, ich meine, alles an der war verschoben, verrutscht,

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