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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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wenn sie sich mit Gabriel auf die Show vorbereiten.« Sie sah auf den Boden. »Gerade heute waren wieder welche da. Das sind alles so arme Schweine, wissen Sie? Kommen nicht zurecht mit sich, sind so« – sie holte Luft – »sind so anders als zum Beispiel Sie oder ich.«
    Vielleicht hatte sie die letzten Worte nur geflüstert, denn die Henkel sah nicht so aus, als hätte sie sie verstanden. »Gut«, murmelte sie, »ich guck’s mir an.« Dabei blickte sie an Biggi vorbei. Vielleicht würde sie jetzt grinsen oder versuchen, ein Grinsen zu verbergen, doch es sah aus, als hätte sie gar keine Gesichtsmuskeln, die sich bewegen könnten. Wieder warf sie ihr Haar zurück, es glänzte. Ein paarmal die Woche würde sie wohl essen gehen, in dieses In-Lokal vermutlich, über das Biggi in der Stadtzeitung gelesen hatte. Alles funkelte da drinnen, die Spots an der Decke und die Weingläser auf den Tischen und der Schriftzug auf dem Spiegel über der Bar. Biggi hatte einmal draußen in ihrem Wagen gesessen; wie Fische in einem beleuchteten Aquarium hatte man die Leute sehen können. Glänzende Augen, drehten sie die Gesichter zum Licht, umherschwirrende Hände, wenn sie etwas erzählten, Fingerzeige. Sie hatte eine Zeitung dabeigehabt, falls sich jemand wunderte, warum sie da draußen saß. Sie war sicher, daß die Henkel, wie sie aussah, dort verkehrte.
    Junge Menschen müssen ausgehen, hatte Biggis Mutter gesagt. Seit Biggi sich erinnern konnte, streute sie gewichtig ihre Weisheiten wie kleine Mädchen Blumen auf einer Hochzeit. Die Jugend muß über die Stränge schlagen, jeder Mensch braucht einen anderen Menschen, jeder Mensch braucht Liebe. Biggi brauchte keine Liebe, weil sie sich darunter nicht viel vorstellen konnte. Was sie wollte, war Respekt.
    Die Henkel ging einen Schritt zurück; auf dem Deckel eines der Ordner in ihrem Arm konnte Biggi Julias Handschrift erkennen, der fiel jetzt aber auch herunter.
    »Ich dachte, es nützt Ihnen was.« Biggi bückte sich nach den Ordnern, doch die Henkel sagte: »Lassen Sie, ich mach das.« Sie hatte wieder furchtbar viel Parfüm benutzt, mehr noch als letztens im Präsidium. »Okay«, sagte sie, als sie alles wieder im Arm hatte, und Biggi wartete darauf, daß sie noch so einen Kommissarinnensatz anfügte, Falls Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie mich an, doch das tat sie nicht. Sie hatte sich auch nicht richtig bedankt. Als sie in das Gebäude ging, guckte der Pförtner hinterher.

14
    Sie blieb lange. Was machten sie im Präsidium, wenn sie nicht gerade Leute verhörten? Spuren prüfen vielleicht, Julias Spuren, wer wußte denn, was sie alles finden konnten in diesem grauenhaften Blut. Dazwischen lachten sie wohl, während sie einander erzählten, was sie getrieben hatten, abends und am Wochenende und in der übrigen freien Zeit. In Biggis Firma quasselten die Leute dauernd vom Wochenende, was sie tun und lassen würden, jeden Donnerstag ging es schon los. Sie gingen auf Feten, gingen hierhin, dorthin, kochten zusammen, machten sonst was zusammen, redeten davon.
    Biggi sah die Lichter im Gebäude, die beinah zu tanzen begannen, je länger man starrte, kleine Muster, wie Sterne. Es war still im Auto, so still wie in ihrer Wohnung um diese Zeit.
    Wieder das Summen im Ohr und dann im Kopf, so ein Surren und Raunen, das nicht nur von der Stille kam. Manchmal kam es von den Gedanken. Ein gewöhnlicher Tag war es gewesen, mit Bildern, die wie in einem Diaprojektor abliefen, eingefrorene Aufnahmen von Gesichtern, Blicken und Gesten. Jeder vergangene Tag drängte sich am Abend wieder auf. Morgens hatte sie gar nicht in den Konferenzraum gewollt, wo sie alle zusammenhockten, um eine neue Talkshow zu entwerfen, sie nannten das Brainstorming. Während des Brainstormings durfte man nicht stören. Brauchte man aber dringend eine Unterschrift, mußte man auch beim Brainstorming stören. Man klopfte also an, man tippte bloß mit feuchten Fingern an die Tür und schlich sich dann hinein in diesen langgestreckten Raum mit weißen Möbeln, wo die Projektleiter saßen und die Produktionsassistentinnen und die Produktionsleiterinnen und ein paar hübsche Männer, die sich Rechercheure nannten. Zurückgelehnt und entspannt saßen sie da, ganz anders als die Jammerlappen, die im Besucherraum auf Gabriel und ihren Auftritt warteten. Entspannt und dann pikiert glotzen sie herüber, verärgert über die Störung, und Biggi wollte alles in sich abstellen, das Hämmern in der Brust und das Räuspern

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