Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
Vom Netzwerk:
dich was, Biggi, mach was aus dir.« Ihre Mutter redete ständig so daher. Einmal hatte sie am Samstagabend angerufen, Biggi sei immer so brav und hocke zu Hause, »Kennst du denn keinen? Gehst du denn nicht aus?«
    »Doch«, hatte Biggi gesagt. »Natürlich. Ich wollte gerade gehen, ich bin dauernd unterwegs.« Seither ging sie nicht mehr jeden Samstagabend ans Telefon, wenn es klingelte. Eigentlich klingelte es ja auch nicht jeden Samstagabend, nur zweimal im Monat oder so.
    Die Henkel nahm ein paar Aktenordner aus dem Wagen und knallte die Tür mit dem Fuß zu. Sie reckte den Kopf und sah in den Himmel, dann warf sie ihr Haar zurück. Einfache und leichte Bewegungen, nicht so verkrampft, wie das zum Beispiel bei Julia ausgesehen hatte. Julia hatte dauernd die Haare zurückgeworfen, aber es schien eine Macke gewesen zu sein, als hätte sie Zuckungen gehabt, als hockten Fliegen auf ihrem Kopf, die sie loswerden wollte. Biggi stieg aus.
    Die Henkel schloß den Wagen ab, balancierte die Aktenordner auf dem anderen Arm, und man konnte ihr Leben sehen. Abends ging sie aus, traf Leute, sie war nicht allein. Wahrscheinlich vögelte sie abwechselnd mit zwei Männern, und wenn sie nach Hause kam, hörte sie einen vollgesäuselten Anrufbeantworter ab, sie sah so aus. Man sah ganz anders aus, war man allein. Wie Julia in ihren dreimal gestopften Socken und den albernen Kerzen, die nur für sie alleine brannten.
    Sie sah nicht herüber. An Gabriel, den sie gedemütigt hatte, dachte sie bestimmt nicht mehr, es war normal gewesen, kam vor in ihrem Leben. Biggi dachte oft daran. Es waren ja gar nicht ihre Worte, es war ihre Haltung gewesen, stolz und überlegen. Sich vorzustellen: man tat das auch, sich vorzustellen, daß man es konnte. Sie ging es manchmal in Gedanken durch; daß man nur den Arm ausstreckte, um sich des Bösen zu erwehren – sich vorzustellen, daß es ging. Sie machte ein paar Schritte nach vorn, doch sie konnte nicht so leise gehen, es knallte, wenn sie den rechten Fuß auf die Erde setzte, und die Henkel fuhr herum, als sei sie plötzlich schreckhaft. Sie starrte Biggi an wie ein Gespenst, vielleicht war sie ja eins in ihren Augen. Ein Ordner fiel auf den Boden, sie ließ ihn liegen.
    Biggi räusperte sich und sagte: »Guten Tag.«
    Die Henkel sagte gar nichts. Sie spitzte ein wenig die Lippen, als würde sie gleich pfeifen.
    »Ich habe hier« – Biggi zog das zusammengefaltete Blatt aus ihrer Tasche – »Also, das hier ist Julia Bischofs Bewerbung, ich dachte, Sie brauchen sie vielleicht. Ich meine, für Ihre Ermittlung.«
    »Ihre was? «fragte die Henkel; sie hatte gar nicht gegrüßt.
    »Die Leute bewerben sich für die Show. Manchmal rufen sie auch an. Die Redaktion macht solche Aufrufe, also, sie machen Aufrufe für bestimmte Themen. Wollen, daß Leute sich melden.« Biggi sah auf den Boden, wo der heruntergefallene Aktenordner lag, dann sah sie wieder hoch. Die Henkel ragte wie ein Fels über ihr auf. Doch sie war nicht viel größer, das nicht. Es war etwas anderes.
    »Leute, die sich irgendwie allein fühlen.« Biggi räusperte sich erneut. »Die sollten sich in diesem Fall melden, um an der Sendung teilzunehmen, und das hat Julia getan. Das war das Thema damals. Ich habe eine Kopie gemacht, die anderen wissen es nicht. Ich meine, Gabriel weiß es auch nicht. Daß ich Ihnen das gebe, meine ich.«
    Julia hatte alberne Sätze geschrieben. »Lieber Gabriel Mosbach, an der Sendung Wir alle brauchen Zärtlichkeit, für die Sie Teilnehmer suchen, würde ich sehr gerne teilnehmen.« Schlechtes Deutsch, aber es kam ja noch schlimmer. Zwei Absätze lang hatte sie ihr ganzes Unglück an die Leine genommen wie ein ungestümes Hündchen, das sie Gassi führte. Allein am Abend, gar keine Freunde, wenn man es bedachte, nur Bekannte. Sozusagen auch nur flüchtige Bekannte. Gottverlassenes Leben für gewöhnlich, Sehnsucht, Sehnsucht, Sehnsucht, diesen ganzen Dreck hatte sie aufgeschrieben und dann in der Show darüber gequasselt und sich nicht einmal geschämt.
    Die Henkel nahm den Brief mit zwei Fingern. Statt sich zu bedanken, fragte sie: »Liest der Mosbach diese Sachen?«
    »Manchmal. Meistens liest es die Redaktion, und die sagen es ihm dann.« Biggi räusperte sich. »Es ist ja immer dieselbe Sorte in der Show.«
    Die Henkel stand ganz aufrecht da, locker, vielleicht sogar gelangweilt. Biggi mußte es erklären, sonst bekam sie einen falschen Eindruck; sie sagte: »Ich meine, ich sehe die Leute ja manchmal,

Weitere Kostenlose Bücher