Mimikry
und dieses albern zittrige Stimmchen und ganz besonders diese Röte auf den Wangen.
Sie wollte sich nicht. Sie wollte sich nicht so, mit diesen ewig feuchten Händen und dem glühenden Gesicht und den unausgesprochenen Worten, die im Rachen klebten, und dann guckte ihr irgendjemand auf die Schuhe, das ging schnell.
Diese klobigen Schuhe, die sie trug. Oder sie guckten auf die Hose, die in der Hüfte hing wie ein Sack, auf irgend etwas Falsches. Manchmal stöhnten sie leise, wenn alles vorüber war, so ein mitleidiges Stöhnen oder eines, das anstelle eines Lachens kam, sie hatte es schon gehört. Solche Sachen fielen ihr jetzt ein, tausend Gedanken. Paßte man nicht auf, rotierten sie weiter und weiter. Abends träumte sie, daß sie viel stärker als sie alle war, und sie fügte ihnen Schaden zu, alles in Gedanken.
Auf einer Fensterbank im Polizeipräsidium stand eine kleine Palme. Hin und wieder fuhr ein Wagen vom Hof, dann ging eine Schranke auf, sonst passierte nichts. Biggi stützte die Arme auf das Steuer. Fast bewegungslos konnte man sitzen, doch es war anders als säße sie in ihrer Wohnung um diese Zeit. Man wartete auf etwas und wußte nicht genau, was kam, spürte noch nicht einmal den Hunger. Als die Henkel das Gebäude verließ, war es wie ein kurzer Schreck, so, als hätte man nicht mit dem gerechnet, was dann doch geschah.
Als sie an der Pförtnerloge vorbeikam, hob sie kurz die Hand; es war komisch, fast alle, die gingen, grüßten den Pförtner, den man gar nicht sah. Wie ein Ritual sah es aus, sie nahmen Abschied von dem düsteren Gebäude, winkten ins Leere hinein. Als Biggi den Motor startete und dem weißen Astra folgte, war es wie ein Traum, sie hatte es nicht direkt vorgehabt. Es war kein Plan gewesen, nur eine Möglichkeit. Pläne machte sie nicht. Dinge passierten einfach.
Verstopfte Straßen überall, das half. Es war nicht so einfach, jemandem hinterherzufahren. Man sah es im Fernsehen, da ging es leicht. Gewöhnlich dachte man ja gar nicht daran, was möglich war und was man leisten konnte, bevor man es versuchte. Biggi sah den weißen Wagen, seine Lichter und blieb dran. Trotzdem fuhr der Astra schneller, als sie normalerweise fuhr, sie hatte immer ein bißchen Angst, gerade jetzt, da das Tageslicht schwand, Straßenlampen Schatten warfen, Angst, Angst, Angst, manchmal glaubte sie, das war ihr Leben, aber sie fuhr, hätte gar nicht sagen können, wie lange und wohin, sah Lichter.
Früher hatte sie gedacht, Kommissare schoben im Stau ein Blaulicht aufs Dach. Sie sah zu viel fern. Jetzt hörte sie auf mit dem Denken, als ihr schwarzer Fiat dem weißen Astra folgte, vielleicht mochten die Autos sich einfach, Schwarz und Weiß, Himmel und Hölle, wollten Bekanntschaft schließen, vielleicht sollte man sich treiben lassen.
Sie fuhren Richtung Nordend, die Häuser wurden schöner. Sicher, hier würde sie wohnen, wo sonst? Zweimal hätte Biggi sie fast verloren, bevor der Astra abbog und in der Lenaustraße hielt.
Altbauten und Bäume, alles war ruhig, nirgendwo Lärm. Es war schön, hier zu wohnen. Biggi wohnte in einem häßlichen Neubau an einer lauten Straße, da ging es ganz anders zu, da kreischten die Kinder und brüllten sich die Spinner durch die Nacht. Direkt vor ihrem Schlafzimmerfenster hatten einmal zwei Frauen aufeinander eingeprügelt, besoffen alle beide, und ihre Schreie hatten wie Sirenen in der Nacht geklungen, anschwellend und wieder dünner werdend und dann wieder so unerträglich laut. Hier war das nicht so. Sie sah zu, wie die Henkel in einem schönen alten Haus verschwand. So wohnten diese Leute, ihr Leben war leicht. Mit zwei Fingern schnippten sie das Glück heran wie im Restaurant den Kellner.
Ein Altbau zwischen Kastanienbäumen, große Fenster mit Oberlichtem, das machte die Räume so hell wie das ganze Leben. Im zweiten Stock ging ein Licht an, strahlendes, weißes Licht. Sicher hatte sie Parkett, konnte tanzen da drin. Alles mögliche könnte passieren, Leute kamen zu Besuch, Männer kamen zum Essen, brachten Wein mit und Blumen, Männer blieben über Nacht. Biggi sah hoch, doch sie konnte nichts sehen außer gleißendem Licht.
Als sie den Kopf drehte, sah sie in dem Haus gegenüber eine Frau am Fenster stehen. Starr stand sie da und guckte auf die Straße, auf der kein Mensch zu sehen war. Wie ein Kind hatte sie die Nase an die Scheibe gepreßt und könnte, wenn sie wollte, der Henkel in die Wohnung gucken, es war die gleiche Etage und dazu noch ein wenig
Weitere Kostenlose Bücher