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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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hinten gerutscht, die Beine sahen steif und leblos aus. Vielleicht horchten sie nach innen, auf das Leben da, grübelten den richtigen Worten hinterher, die sie Gabriel anvertrauen würden, Gabriel und der Kamera und dem ganzen zuschauenden Land. Doch es würden niemals richtige Worte werden. Es würde immer nur dieses Gestammel von den verlorenen Träumen und den kaum gelebten Stunden sein. Schmutzige Worte. Herausgestoßenes Zeug. Gabriel sagte manchmal, das Wesen der Talkshow wäre, daß jede Macke sendefähig sei.
    Biggi fragte: »Möchten Sie Kaffee?« Es war ihre Aufgabe, den Talkshow-Gästen Kaffee anzubieten oder was immer sie haben wollten. Gewöhnlich wollten sie nur, daß es endlich losging.
    »Ich vertrage keinen Kaffee«, sagte der Mann, und die Frau fragte: »Wann kommt denn der Herr Mosbach?«
    »Er ist gleich da.« Biggi mußte immer dasselbe sagen, eigentlich wollte sie mit diesen Leuten gar nicht reden. Es war ja nicht so, daß Gabriel zu spät kam, um die Show mit den Gästen durchzusprechen. Die Leute waren immer viel zu früh. Dann hockten sie herum, kontrollierten den Sitz ihrer Klamotten und den Zustand all der Kümmernisse, die sie hierhergeschleppt hatten, um sie dem ganzen Land zu verkünden.
    Sie nahm den Brief aus der Mappe und legte ihn für Gabriel zurecht. Die meisten bewarben sich schriftlich, Gabriel sagte Bittbriefe dazu. Bittbriefe kamen jeden Tag, manchmal lag ein Foto dabei, »… bewerbe ich mich um Teilnahme in Ihrer Talkshow « . Sorgen wurden ausgebreitet, Miseren dokumentiert, ganze Jammertäler ausgemessen, » … lassen Sie mich das einmal erzählen « . Nach der Sendung mußte Biggi das Zeug abheften und mit einem Stempel versehen.
    Die Frau sah auf die Uhr, der Mann betrachtete seine ausgestreckten Beine. Wie Puppen. Ein bißchen wie Leichen. So steif waren Julias Beine auch gewesen, nicht hier, nicht im Besucherraum, da hatte sie nicht im Sessel, sondern auf einem Stuhl gesessen und auf Gabriel gewartet, glühendrot im Gesicht, zappelig am ganzen Körper. Zu Hause auf ihrem Sofa war sie so starr gewesen. Leblos, wirklich leblos, nicht wie die hier, die jetzt auf Biggis Hände glotzten, die die Kaffeekanne hielten. Steif und tot, da hatte man sehen können, was das Wort bedeutet. Die toten Beine waren leicht gespreizt gewesen, die Füße nach außen gekippt, Julias Füße in den löchrigen Socken. Die Kommissarin, die Henkel, hatte hauchdünne Netzstrümpfe getragen, vermutlich hatte sie nach Luft geschnappt beim Anblick von Julias durchlöcherten Socken. Man wurde so schlampig, war man allein.
    »– Milch?« fragte die Frau, Biggi zuckte zusammen. Manchmal hatte sie die Gedanken im Kopf, diese merkwürdigen Gedanken, da hörte sie nicht zu, was andere sagten.
    Milch für den Kaffee wollte sie haben, was sonst. Zucker wohl auch noch, so fett wie sie war. Sie hieß Christel Irgendwas und hatte keine Träume mehr, das hatte sie in ihrem Bewerbungsbrief geschrieben. Der Mann neben ihr war ihr Ehemann Robert, das Thema der Sendung lautete: » Paare heute: Wir haben uns nichts mehr zu sagen. «
    »Er müßte eigentlich schon da sein«, sagte der Mann. Er war so lange still gewesen, daß es Biggi vorkam, als dröhnte seine Stimme, doch sie war nicht besonders laut. »Woanders hatten wir mehr Zeit.« Er seufzte. »Ich bin schon in zwei Talkshows gewesen, da haben die Leute sich vorher mehr Zeit genommen.«
    »Ja«, sagte Biggi, weil sie nicht wußte, was sie sonst sagen sollte.
    »Man muß sich ja absprechen.«
    Biggi nickte. Der Mann und die Frau nickten auch, nickten so nachdrücklich wie aufgezogene Puppen.
    Sprechpuppen. »Das ist wieder so typisch«, sagte die Frau. »Geht er ohne mich in eine Show und macht sich lieb Kind. Ich hab das ja erst hinterher erfahren, daß er beim Meiser war.« Sie versuchte auf dem Sessel etwas nach vorn zu rutschen. »Alles hab ich für ihn aufgegeben, meine Arbeit, die Freunde, selbst die Eltern, die mochten ihn nicht.«
    »Pech«, sagte der Mann.
    »Ja, und dann bin ich manisch-depressiv geworden, so mit manischen und mit depressiven Schüben. Das kommt natürlich daher, weil wir uns schon nach paar Jahren furchtbar auf die Nerven gegangen sind, ich meine, ich hab mir die Ehe ja anders vorgestellt.«
    »Ich auch«, sagte der Mann, und seine Frau rückte etwas näher an ihn heran. »Im Moment bin ich symptomfrei, das kann sich aber schnell wieder ändern.«
    »Ich hab’s an der Galle«, murmelte der Mann. »Weil ich mich immer aufregen

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