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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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spazieren. Auf dem Friedhof. Ich find das blöd, ich kriege da –«
    Der Gerichtsmediziner rief aus dem Nebenzimmer, das hätte hier gar keinen Zweck. »Könnte eine Schädelfraktur – Splitterung ist möglich. Hört ihr zu? Fühlt sich komisch an.«
    »SCHNAUZE«, brüllte Stocker.
    »Wie? Ja, ich vermute mal, der ist für euch. Das ist aber nur eine Vermutung, hört ihr zu?«
    »Ja«, flüsterte sie, dann stieß sie Stocker zur Seite. In einer Ecke stand ein kleiner Schrank, sie riß die Schublade auf: Messer, Gabeln, glänzend geputzt. Kopien alter Lottoscheine, Kerzen, ein Brillengestell ohne Gläser. Vasen im Fach darüber, nach der Größe geordnet, dahinter ein verstaubter Plastikblumenstrauß. Modellschiffe und -flugzeuge oben auf dem Schrank, wie für eine Ausstellung aufgereiht, erst die Schiffe, dann die Flugzeuge; Stocker sagte: »Was für ein Kram.«
    »Hat mein Vater auch gemacht.« Sie nahm ein Schiff herunter. »Die basteln, die hocken stundenlang da mit diesem Uhuzeug und kleben. Ja, sind meistens Schiffe und so. Ich weiß nicht, irgendwie haben die Geduld dazu. Mein Vater war eigentlich gar nicht so – hm, so geduldig, aber wenn er gebastelt hat, war er raus aus der Welt.« Sie stellte das Schiff zurück, schob ein bißchen, damit es wieder ordentlich dastand, öffnete die Schranktüren und sagte: »Da sind seine Klamotten.«
    Stocker seufzte und schloß sich an. Sie konnten das tun, was sie immer taten, sich durch Kleidungsstücke, Briefe und Geschirr wühlen, auf der Suche nach etwas, von dem sie nicht wußten, was es war, durch alte Zeugnisse, Fotos, ein Leben.
    Es war eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung. Wie aufgezogen gingen sie herum, rissen Schubladen und Schranktüren auf, lauter Zeug. Sein Rasierzeug im Bad, sein Schlafanzug auf dem Bett, seine Schuhe im Flur. Er hatte nichts wegschmeißen können. Leere Kartons überall, alte Zeitungen, leere Konservendosen, Aluschalen von Fertiggerichten, ausgespült und auf ein Regalbrett gestapelt. Fußspray im Bad, ein kleines Radio, zum Trocknen aufgehängte Wäsche. In der Küche gespültes Geschirr, zum Wegräumen auf einen kleinen Tisch gestellt, ein Teller, ein Glas, zwei Tassen, zwei Töpfe. Ein Einkaufszettel an der Kühlschranktür: » Margarine, Sprudel, Leberwurst « . Eine kleine Hausapotheke im Einbauschrank, Magnesium-Brausetabletten, Calzium, Bleib-gesund-Dragees, dreimal täglich zu den Mahlzeiten, Weißdorn-Mistel-Knoblauch.
    Irgendwann sagte Stocker: »Machen Sie langsam.«
    »Nein«, sagte sie, »nein«, und sie zog einen Ordner aus einem Glasregal, riß sich einen Handschuh auf, zuckte zurück, nahm neue. Alles war abgeheftet, Mietvertrag, Hausratversicherung, Zeugnisse. Er war Chemielaborant und arbeitslos, sein Name war Martin Fried, und zwei Wochen zuvor wäre er 32 Jahre alt geworden. Ganz unten auf dem Regal eine Videosammlung, Pretty Woman, Zeugin der Anklage, Die Vögel, Menschen bei Mosbach 21.8., Heiße Träume.
    »Da.« Stocker klopfte gegen das Regal. »Mosbach. Gibt’s das? Das ist wieder die Talkshow. War der auch da drin, du lieber Gott?«
    »Vielleicht.« Ina Henkel sah kurz hin. »Kann man mal sehen, wie er aussah.«
    Stocker wog das Video in der Hand und steckte es ein. Sie nahmen auch die anderen Videos, den Ordner und Kram aus seinen Schubladen. Sie nahmen sein Fotoalbum, Kinderfotos und das Bild eines lächelnden Konfirmanden. Sie klebten einen Zettel auf seinen PC.
    Im Nebenzimmer schloß der Gerichtsmediziner seine Tasche. Er kam herüber, seine Augen waren gerötet. »Den brauche ich auf dem Tisch, ich will jetzt hier weg.« Er nuschelte, trug Mundschutz.
    »Sehen Sie mal nach der Kollegin«, murmelte Stocker.
    »Nein.« Ina Henkel drehte sich weg.
    »Die hat blaue Lippen, gucken Sie mal.«
    Fuchs kam näher. »Konzentriere dich aufs Atmen.«
    »Wie soll ich das machen bei dem Gestank?«
    »Mach mal die Arme locker, nicht verkrampfen, keine Fäuste.« Fuchs streckte eine Hand aus, und sie schrie: »NEIN, faß mich nicht an.«
    »Ja was?«
    »Zieh die verdammten Handschuhe aus, zieh sie aus.«
    Er nickte, streifte sie so ab, daß die Außenseite innen war. Dann hielt er sie in der Hand und wußte nicht, wohin damit. »Hör mal, du mußt –«
    »Die könnten doch jetzt endlich mit der Kiste kommen, oder? Hat jemand Fotos gemacht, ich hab gar nicht –«
    »Ja«, murmelte Fuchs. »Eben war jemand da. Ist wie der Wind wieder raus.« Er räusperte sich. »Ina, ich hätte, wie gesagt, ein Kreislaufmittel da. Es

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