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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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irgendwann, es werde immer schlimmer mit der Verwesung, das ist doch komplett« – sie zog am Ausschnitt ihres Hemdchens – »bescheuert.«
    Hieber nickte und sah zu Stocker, der reglos hinter ihr stand. Die Henkel fuhr zusammen, als Stocker sagte: »Ein Herr Martin Fried war hier so ziemlich unbekannt. Bin allerdings nur bis zum fünften Stock gekommen. Wann ist das Fax denn eingegangen?«
    Hieber setzte seine Mütze auf, hier war sein Gebiet, berichten, wiedergeben, sagen, wie es war. Die anderen spekulierten herum, redeten, redeten, redeten und wußten manchmal nicht, worüber. »Zuerst einmal muß das Fax eine Weile, sagen wir mal, in Umlauf gewesen sein. Mittags ist es wohl eingegangen. Ich habe es bekommen, als ich losgefahren bin, vor zwei, drei Stunden.«
    Stocker lehnte sich gegen den Wagen. »Wäre auf ein paar Stunden auch nicht mehr angekommen.«
    »Richtig, mir wurde auch nur gesagt, ich solle halt mal vorbeischauen, niemand hat es ernst genommen. Dann kam ich aber in den Gang und hab’s gerochen.« Hieber kratzte sich. Es ging ihm etwas im Kopf herum, die ganze Zeit hatte er diese Vorstellung, daß die Zeit verging, eine Woche oder zwei, ein Monat, viele Tage, daß etwas geschah in diesen Tagen, die Welt ein Stück nach vorne sprang und dieser Mensch die ganze Zeit so lag, wie ein Toter nicht liegen durfte, ohne Segen, ohne Gruß. Oder man sah es so: Vor vier Wochen hatte Hieber ein neues Sofa gekauft, und er hatte hier gelegen. Vor drei Wochen waren sie essen gegangen, die ganze Familie mit der Tochter, und er hatte hier gelegen. Dachte man auf diese Weise daran, bekam man es aber nie mehr aus dem Kopf heraus. Hieber schluckte, wollte auf sicheres Terrain, und er sagte etwas, von dem er im selben Moment wußte, daß es dumm war, weil sie selbst, die Kripoleute, dieses Wort ja nie benutzten, es klang so nach Fernsehen: »Glauben Sie, der Mörder hätte das geschrieben?«
    »Was?« Die Henkel sah aus, als wäre sie kurz eingeschlafen und wieder hochgeschreckt. »Der Täter?«
    »Sicher, ja, der Täter, ich meine – oder mehrere.«
    Stocker hob die Schultern. »Wer weiß, was die wollen. Kein Mensch auf Erden weiß, was die so alles wollen.«

20
    Was konnte man sagen, wenn man nichts gesehen hatte? Nichts hatte sehen können, nur diesen – Wust? Es mußte doch überhaupt erst mal einen Täter geben. Ina Henkel hatte beide Arme auf das Steuer gelegt, an der Ampel fuhr sie erst an, als es hinter ihr hupte. »Na gut, wenn dieses komische Fax nicht vom Täter kommt, kommt’s von einem Mitwisser. Läuft das auf dasselbe raus? Wollen Sie nach Hause?«
    Stocker lehnte wie betäubt in seinem Sitz. »Wenn’s nichts ausmacht.«
    »Jetzt sagt der Rainer: Kopfverletzung, aber der kann ja gestolpert –«
    »Wer ist Rainer?«
    »Fuchs«, zischte sie. »Warum lassen Sie sich eigentlich von keinem duzen?«
    Er gähnte. »Weil das für mich eine intime Angelegenheit ist, ich mag diese Duzkultur nicht. Da kommt der Respekt abhanden, verstehen Sie?«
    »Nein, tu ich nicht.«
    »Ich hab’s Ihnen schon mal erklärt, da haben Sie es auch nicht verstanden. Und wenn überhaupt, dann mache ich das stilgerecht, mit Kuß.«
    »Ich hab mich inzwischen dran gewöhnt.« Sie strich sich das Haar hinters Ohr, schüttelte den Kopf und es fiel wieder nach vorn. »Vielleicht hat der mit Herzinfarkt da gelegen. Kam keiner.«
    »War er zu jung für. Ich hab nirgendwo einen Aschenbecher gesehen, der hat auch nicht geraucht.« Stocker hob einen Daumen. »Der hat doch anscheinend gesund gelebt, die ganzen Mittelchen, die der hatte, Magnesium und alles. Suizid paßt da auch nicht. Suizid, da hinterlassen Sie doch Ihre Wohnung anders, oder? Da räumen Sie auf, machen irgendwas, der war ja anscheinend mitten im Leben, im Alltag.«
    »Ich würde nicht aufräumen.«
    »Was, bei Suizid?«
    »Hm, wär doch egal.«
    »Schön, aber es würde Sie jemand finden.«
    Sie blies die Backen auf, sagte: »Ja, vielleicht.«
    Stocker verschränkte die Hände hinterm Kopf und schloß die Augen. Es nieselte wieder. Zwei Männer vor einer Kneipe, einer stützte den anderen. Er murmelte: »Fahren Sie langsamer.«
    »Ich fahre ganz normal, machen Sie mal Ihr Fenster auf.«
    »Dann zieht’s.«
    »Verdammt, es stinkt hier. Merken Sie das nicht?«
    »Nein, tut es nicht. Es riecht vielleicht nach Menthol, nach Ihrem Öl. Nach Ihrem Parfüm auf alle Fälle.« Er seufzte. »Was finden Sie eigentlich an dem Czernitzki?«
    »Czerwinski. Hören Sie doch

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