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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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stabilisiert die Atmung. Instabile Atmung, da könntest du schnell ins Hyperventilieren kommen.«
    »Das stimmt«, sagte Stocker am Fenster.
    »So«, sagte sie. »Ich habe noch nie im Leben – was soll das sein?«
    »Na ja«, sagte Fuchs und sah auf seine Füße. »Das merkst du dann schon. Da geht der Atem sehr schnell.«
    »Weißt du was«, murmelte sie. »Ich kann dir einige Sachen im Leben nennen, da geht der Atem – und da braucht man auch nix. Laß mich in Ruhe, laß mich in Ruhe, bitte.«
    Es hatte aufgehört zu regnen. Ein paar Autos draußen, Reifen, die durch Pfützen zischten. Der Mann mit dem Mozartzopf hatte die Arme verschränkt. Als Stocker ihm von oben ein Zeichen machte, nickte er bedächtig und schlug auf das Dach des Kastenwagens; sein Kollege stieg aus. Zwei Minuten später waren sie da, stellten den grauen Zinksarg ab. Der Mann mit dem Zopf sagte: »Obacht, Frau Oberkommissarin.« Sein Kollege sah aus, als wolle er weinen.
    »Was ist denn, Sie haben doch Platz.« Martin Fried lag keine drei Meter von ihr entfernt und sie atmete wieder schneller.
    »Es ist so, Frau Oberkommissarin, wir nehmen ihn jetzt hoch. Es ist so, er war ja nicht einsam. Nicht wirklich.« Er hob den Deckel vom Sarg. »Je länger sie liegen, desto mehr Gesellschaft bekommen sie. Herr Oberkommissar, wir heben ihn jetzt. Wenn Sie empfindlich sind, müssen Sie raus.«
    »Hauptkommissar«, sagte Stocker. An der Wohnungstür blieb er kurz stehen, ohne sich umzudrehen. »Sie Arschloch.«
    »Ist gut«, sagte der Mann.
    Behutsam trugen sie den Sarg hinaus, hoben ihn höher, als Hieber sich an ihnen vorbeischieben wollte, neben ihm ein Mann, der sich eine Hand vor die Augen hielt und etwas rief, das niemand verstand.
    »Was ist mit den Leuten, die desinfizieren, hat die schon jemand – was ist das, das Fax?« Ina Henkel riß Hieber ein Blatt Papier aus der Hand, Fax an: Mordkommission. Ihre Hand zitterte, sie ließ es fallen. Langsam kamen die Träger auf sie zu, mit der Kiste aus Zink, mit den Resten von dem Mann, man hörte ihre Schritte kaum. Sie legte den Kopf zurück und schloß die Augen. Sie gingen vorbei.
    »Alles der Reihe nach.« Hieber hob das Fax wieder auf. »Das ist hier der Nachbar. Ein Herr Kostopo – nein, Kusto – wie auch immer. Ich habe schon mit ihm gesprochen, er kann eigentlich nichts sagen.«
    Der Mann sagte: »Nicht gesehen.«
    »Kannten Sie ihn?« Ina Henkel lehnte sich gegen die Aufzugtür.
    »Vorsicht«, sagte Hieber. »Wenn die aufgeht, liegen Sie drin.«
    »Mann. Da gewohnt.« Der Nachbar ballte eine Hand zur Faust und legte die andere darüber.
    »Ja. Haben Sie ihn gekannt? Gekannt? «
    »Allein.«
    Sie sagte: »Verdammt noch mal, der versteht mich ja nicht, das hat doch keinen Zweck.«
    »Ich verstehen alles « , rief der Mann. »Nicht gesehen.«
    »Haben Sie ihn denn mal gehört? Etwas aus der Wohnung gehört? Geräusche? Lärm?« Sie ging einen Schritt auf ihn zu, schwankte und lehnte sich wieder gegen den Aufzug. »War es mal laut? «
    »Allein.«
    »Der versteht mich nicht.«
    » Alles verstehen. War Mann allein.«
    »Allein.«
    »Ja. Immer allein. Ist am Tag und am Abend – allein.«
    »Was?«
    »Allein.«
    »Er will damit sagen«, sagte Hieber, »daß er ihn früher, also lange vorher, schon mal tagsüber gesehen hat.«
    »Ja, ja, nachher kann er ihn nicht mehr gesehen haben.«
    »Er meint«, sagte Hieber, »daß er vielleicht arbeitslos war. Er selber ist auch arbeitslos. Er hat ihn nicht mehr gesehen und hat ihn vergessen. Na, warum auch nicht, hier können Sie niemanden kennen, hier wohnen viel zu viele Leute. Die haben hier Nachbarn, von denen wissen sie weder, wie die heißen noch in welchem Stock die wohnen. Wissen noch nicht einmal, daß es Nachbarn sind, wenn sie ihnen begegnen. Das ist ganz normal.« Er nahm seine Mütze ab, wischte sich den Schweiß von der Stirn und setzte die Mütze wieder auf. Unten traten die Träger ins Freie.

19
    Es war nicht so schwer, die Leute zu verstehen, man mußte sich Mühe geben. Man durfte nicht so hektisch sein. Hieber verstand die Leute. Meistens warfen sie ihm Brocken hin, mußte man sich den Rest zusammenreimen. So war es auch mit dem Hingucken: man sah etwas und mußte dranbleiben. Die meisten Leute guckten ja weg. Quasi aus Angst. Als Schutzpolizist sah Hieber ja alles als erster. Jungen Kollegen machte er das klar, Frischlingen, wenn sie neben ihm im Wagen saßen: er war der erste vor Ort. Symbolisch gesprochen: die Streife war

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