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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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Jahrmarktsbude, hinter der sich das Abenteuer verbarg. Alles funkelte und glühte, Straßenlampen, Scheinwerfer und die Schriftzüge über den Restaurants. Biggi sah die Gesichter hinter der Fensterfront einer schicken Kneipe, Menschen im Licht, sah ihr Lachen, ihre Gesten und die stolze Art, mit der sie dem Kellner sagten, was sie wollten. Vor ihr der weiße Wagen der Henkel. Seine Bremslichter verschmolzen mit dem übrigen Leuchten zu einem sanften Glühen, ein weißer Leuchtturm, der ein Schiff in den Hafen führte.
    Doch sie fuhr vorbei. Sie fuhr nach Hause.
    Es war eine Vorstellung gewesen: sie hielt vor einer Bar, traf Leute und man konnte sehen, wie es ging.
    Sie war recht lange in dem Hochhaus geblieben, vor dem der graue Todeswagen stand. Nachdem sie ihren Kollegen abgesetzt hatte, fuhr sie so schnell, daß man kaum folgen konnte, zweimal hatte sie sie fast verloren. Vor ihrem Haus bekam sie den Astra nicht in die Parklücke, setzte rüde zurück und schaffte es im zweiten Anlauf, dann schlug sie die Tür zu, als wollte sie das ganze Viertel wecken. Dunkel ragte das schöne alte Haus empor, dunkel, doch tröstend, die Schattenrisse der hohen Fenster wie ein Willkommensgruß. Hier war man zu Hause, hier wohnte man nicht bloß.
    Diese andere Gegend war ja viel düsterer gewesen, die stillgelegte Tankstelle, die stinkende Dönerbude und auch das Hotel, in dem die Henkel mit diesem Mann verschwunden war. Biggi hätte ihre Krücke mitgenommen, wäre sie selber ausgestiegen, auch zum Schutz. Manchmal brauchte sie die Krücke, aber nicht immer; es gab Tage, da ging es auch so.
    Ohne Angst war die Henkel da herumgelaufen, an der Dönerbude vorbei auf das Hotel zu, so, als drängte sie das Böse, wenn es kam, einfach mit der Fingerspitze weg. Doch es hatte sich ja nichts mehr getan, und Biggi war direkt in die City gefahren. Im Fenster einer Boutique hing ein schöner, schwarzer Rock, aber sie ging nicht in Boutiquen. Es hatte mit den Verkäuferinnen zu tun, sie glotzten so blasiert. Vielleicht mußte sie erst all das Zeug tragen, das es in den Boutiquen gab, damit sie nicht mehr glotzten, wenn sie hereinkam. Sie wußte es nicht, sie ging nicht hinein.
    In Kaufhäusern ließ man sie in Ruhe. Sie probierte zwei enge schwarze Röcke an und nahm den etwas längeren. Vor dem Spiegel in der Kabine schloß sie die Augen. Als sie sie wieder öffnete, war es ein komisches Gefühl, so, als wäre sie es gar nicht, sie hatte ein paarmal blinzeln müssen. Doch wenn man wollte, konnte man alles sein.
    Sie mußte gerade gehen in so einem engen schwarzen Rock, mußte sich bemühen, nicht zu humpeln, nicht zu sehr. Als sie bezahlt hatte, legte sie ihren Mantel über die Schulter und schob die Einkaufstüte unter den Arm. Der Rock durfte nicht gewaschen werden, doch wenn sie ihn ordentlich bügelte, gingen die Bakterien sicher auch heraus. Bakterien, Mikroben oder was immer es war, das von anderen Leuten kam.
    Ein Mann kletterte aus einem verbeulten BMW, als sie nach dem Autoschlüssel kramte. Er rief: »Sind Sie bis Weihnachten hier weg?«
    Sie drehte sich um. Ein fetter unbedeutender Kerl.
    »Andere Leute wollen auch parken.« Blöd nickte er seinen eigenen Worten hinterher.
    »Ja?« fragte Biggi, zog das Wort ganz lang, sprach es mit drei as und drei Fragezeichen, hatte diese Redeweise der Henkel noch im Kopf, etwas schleppend, aber so sicher und stolz, dann wußte sie nicht weiter.
    Der Kerl glotzte, leckte sich die Lippen.
    Man müßte das Pack niedermachen, müßte sich trauen. Viel zu schnell stieg sie ein, denn er hätte ausfallend werden können, und Biggi wußte nie, was dann zu tun war, wenn einer ausfallend wurde, sie ging dann meistens weg.
    Zu Hause wärmte sie die Suppe vom Vortag. Sie hatte sich angewöhnt, immer für zwei zu kochen, dann war am nächsten Abend weniger zu tun. Sie bügelte den Rock, hängte ihn auf, konnte ihn jetzt tragen, wenn sie wollte. Sie besprühte die Pflanzen, wischte den Boden und ging in ihren zwei Zimmern umher, vom Fenster zur Tür und zurück zum Fenster, aber man durfte sich nicht fragen, ob dies das Leben war, dann wurde es komisch im Kopf. Dann das Geräusch, so plötzlich in der Stille, Worte, Worte, wie von den Wänden abgestrahlt, von irgendwoher gekommen, wo niemand war. Ihre eigene Stimme.
    Was hatte sie gesagt – ich muß gehen? Ja, so ungefähr. Nichts weiter. Nur laut gedacht.
    Man mußte aufhören, mit sich selbst zu reden, nachher machte man es auf der Straße und fiel

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